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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Versteckspiel so satt, Bernhard, können Sie das nicht verstehen? Immer stärker verspüre ich das Bedürfnis, statt dessen in die Offensive zu gehen. Mich Robert zu stellen und die Sache zu entscheiden.«
    »Du lieber Gott, das sind aber höchst gefährliche Gedanken!
« sagte Bernhard beunruhigt. »Soll ich nicht doch …«
    »Nein!« entgegnete sie und legte den Hörer auf.
    Am Abend rief sie ihn noch einmal an, um ihm zu sagen, es tue ihr leid, so schroff gewesen zu sein, aber er war beleidigt und nahm ihre Entschuldigung nur unwirsch entgegen. Sie war erleichtert: So gekränkt, wie er war, würde er nun keinesfalls am Wochenende überraschend vor der Tür stehen.
    Wolfgang hatte angerufen. Er habe Carolin erklärt, daß aus dem geplanten Besuch nichts würde. Sie sei enttäuscht gewesen, habe aber Verständnis gezeigt für Leonas Gründe.
    »Hältst du noch durch?« fragte er besorgt, und setzte tröstend hinzu: »Irgend etwas sagt mir, daß Jablonski der Polizei jetzt bald ins Netz geht!«
    Und irgend etwas sagt mir, daß er das nie tun wird, dachte Leona, aber davon ließ sie nichts verlauten, sondern entgegnete: »Ich halte durch. Mach dir keine Gedanken. «
    Sie fühlte sich stärker und besser als all die Tage vorher. An jenem Abend, da sie unverzeihlicherweise bei Bernhard Fabiani angerufen hatte, war sie an ihrem seelischen Tiefpunkt angelangt gewesen. Von da an war es bergauf gegangen.
    Sie wußte genau, warum es ihr besserging: Tief in ihr reifte ein Entschluß.
    Zart noch und unfertig, aber bereits nicht mehr umzustoßen.
    Sie würde nicht mehr lange vor ihm weglaufen. Sie würde auf ihn zuschwimmen wie auf einen Hai.
    In seiner Irritation mochte er einen entscheidenden Fehler machen.

    5
    Das Messer hatte meine Mutter damals in die Halsschlagader getroffen und diese zerfetzt. Gestorben ist sie an dem enormen Blutverlust. Der Krankenwagen traf zu spät ein, weil mein Vater in seiner Aufregung entweder die falsche Adresse gesagt oder die Dame am anderen Ende der Leitung die falsche Adresse verstanden hatte. Das konnte nie ganz geklärt werden. Jedenfalls traf und traf die Rettung nicht ein, und Mutter verblutete auf dem beigefarbenen Teppich im Wohnzimmer, während Vater eine ebenso hektische wie nutzlose Mund-zu-Mund-Beatmung probierte – das einzige, woran er sich aus seinem Erste-Hilfe-Kurs, der über zwanzig Jahre zurücklag, erinnerte. Ich legte Mamas Füße hoch, auf zwei Kissen, die ich übereinander stapelte, und massierte ihre Knöchel, während ich langsam panisch wurde beim Anblick des roten Sees, der sich um sie herum ausbreitete. Eva stand schreckensstarr in der Tür, blankes Entsetzen in den Augen, und stammelte unzusammenhängende Sätze.
    Wir waren oben in unserem Zimmer gewesen, als der Krach lostobte, und zunächst hatten wir gedacht, alles werde ablaufen wie immer. Vater war zwei Tage und zwei Nächte nicht nach Hause gekommen. In der Nachbarschaft munkelte man, er sei mehrfach mit einer Studentin in der Stadt gesehen worden, eng umschlungen, und zu dieser Frau fahre er nun regelmäßig. Keine Ahnung, ob das stimmte, aber irgend etwas Ernsthaftes mit einer Frau lief sicher, denn er verschwand wieder sehr häufig zu dieser Zeit und war dann immer gleich für mehrere Tage fort. Diesmal hatte Mama mehr getrunken als sonst und schon im Vorfeld wüste Drohungen ausgestoßen.

    »Ich mach’ ihn kalt«, hatte sie immer wieder gemurmelt, am Fenster im Wohnzimmer sitzend, eine Flasche Southern Comfort in der Hand. »Diesmal mach’ ich die Ratte kalt!«
    Sätze dieser Art hatte sie schon öfter gesagt, nicht mehr und nicht weniger entschlossen als diesmal. Aber ihr Alkoholpegel lag wirklich höher als sonst, und ich erinnere mich, daß es zu einer Rangelei zwischen uns kam, als ich ihr die Flasche wegnehmen wollte. Ich war neunzehn damals, sehr groß und kräftig, aber ich hatte Hemmungen, sie wirklich hart anzupacken, und so gelang es mir nicht, ihr den Whiskylikör zu entreißen. Statt dessen zerrte sie mich an den Haaren und schrie, ich solle machen, daß ich wegkomme, und ich sei nicht besser als mein Vater. Ich überließ sie also dem Suff und ging zu Eva hinauf, um mit ihr gemeinsam zu überlegen, was wir uns diesmal wünschen sollten. Ich spekulierte auf ein Motorrad, aber Eva meinte, das könne ich mir abschminken, das sei nun eindeutig zu hoch gegriffen. Tatsächlich war die Großzügigkeit unserer Eltern seit etwa eineinhalb Jahren rückläufig; vermutlich nahmen sie an, ihre

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