Der Verehrer
normalerweise nie das Büro verlasse, durch den Hinterausgang hinaus und bin dann auf umständlichste und verwirrendste Weise mit Bahn, Bussen und zum Schluß mit einem Taxi hierhergefahren. Die ganze Zeit über hatte ich Angst, daß Robert mir trotzdem folgt … aber das hat er offenbar nicht geschafft. «
»Dieses Haus hier ist jedenfalls nicht einfach zu finden. Ich hatte ja deine Wegbeschreibung und habe mich trotzdem zweimal verfahren. Diese vielen Dörfer und verwinkelten Landstraßen … Und als ich endlich da war, sah ich keine Spur von dir. Ich war ziemlich verzweifelt.«
Leona mußte lachen über seine komisch – tragische Miene, und kurz schoß ihr der Gedanke durch den Kopf,
daß sie sich diesen Mann überhaupt nicht verzweifelt vorstellen konnte. Sie fand das eigenartig. Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, von dem sie annahm, er könne keinen Schmerz empfinden.
»Wer kümmert sich um das Haus?« fragte Bernhard, erneut zu einer sachlichen Thematik wechselnd.
»Meine Eltern fahren manchmal her. Einmal im halben Jahr ungefähr. Ein Junge aus dem Dorf mäht im Sommer den Rasen.«
»Warum verkauft deine Schwester es nicht?«
Leona zuckte die Schultern. »Es hängt wohl mit einer gewissen Sentimentalität zusammen. Wir haben diese Haushälterin sehr geliebt. Ich fürchte, keiner von uns bringt es fertig, ihr Haus zu verkaufen.«
»Ihr seid eine eigenartige Familie«, sagte Bernhard, im gleichen Tonfall, in dem er vor wenigen Minuten die Familie als »kompliziert« bezeichnet hatte.
»Etwas unpraktisch«, meinte Leona, »und unvernünftig.«
»Aber nicht unoriginell.«
»Immerhin.«
Er stellte sein leeres Glas ab.
»Komm, gehen wir irgendwo essen. Ich habe einen Bärenhunger. Ich lade dich ein.«
Leona lachte. »Hier kann man nicht essen gehen. Wir müßten bis Fulda fahren, und das ist auch nicht ganz nah. Ich werde etwas kochen für uns, okay?«
Bernhard, der schon aufgestanden war, setzte sich wieder.
»Wenn du dich das nächste Mal vor einem Verrückten versteckst, dann besprich das doch vorher mit mir, ja? Ich kenne ein paar Ecken in Deutschland, da ist man auch sicher, und es herrscht trotzdem eine gewisse Zivilisation dort.«
Im Schein eines Windlichts saßen sie nach dem Essen auf der Veranda. Aus dem dunklen Garten wogte Blütenduft heran, süßer und intensiver als am Tag. Im Mondlicht glänzten die Stämme der Birken wie helles Silber.
»Ganz bald«, sagte Leona, »werden hier die Glühwürmchen herumschwirren.«
»Der Juni ist ihre Zeit«, sagte Bernhard.
»Früher waren immer Unmengen hier. Ich war in solchen Nächten nicht zu bewegen, ins Bett zu gehen. Ich wollte nur dasitzen und die Glühwürmchen anschauen. Ich glaube, heute wäre es genau das gleiche.«
»Ich wußte gar nicht, daß du so eine romantische Veranlagung hast!«
»Nur bei Glühwürmchen.«
Er sah sie lange an. »Sicher?«
Er neigte sich über den Tisch und küßte ihre Wange, und als sie nicht auswich, küßte er ihren Mund.
Sie lehnte sich zurück und fragte: »Hast du nichts gehört?«
»Was denn?«
»Ich dachte, jemand hätte gehustet.«
»Du kannst es übrigens ganz offen sagen, wenn dir die Situation unangenehm ist«, sagte Bernhard ärgerlich, »du brauchst dich wirklich nicht in Ablenkungsmanöver zu flüchten.«
»Das war kein Manöver.« Leona erhob sich, sah sich unruhig um, hätte aber in der Dunkelheit ohnehin nichts erkennen können. »Ich habe etwas gehört.«
»Irgendein Tier vielleicht. Wir sind ja direkt am Wald.«
»Ich möchte nachsehen«, beharrte Leona nervös.
Sie lief ins Haus, knipste überall die Lichter an. Der Schein fiel hell in die Nacht, aber Bernhard fragte sich trotzdem, welchen Sinn diese Aktion haben sollte: Im Garten konnte man ohnehin nichts sehen.
Leona kehrte mit einer Taschenlampe zurück und fing an, damit Kreise um das Haus zu ziehen und in die Gebüsche zu leuchten.
Es war nichts Auffälliges zu entdecken.
Bernhard war auf der Veranda stehengeblieben und zündete sich eine Zigarette an. Er fragte sich, ob Leona wirklich ein Geräusch gehört hatte oder ob sie die Show mit der Taschenlampe nur inszenierte, um ihn von sich abzulenken. Es hatte ihn erregt, sie zu küssen. Ihre Lippen hatten sich kühl und glatt angefühlt, und er mochte es, wie der Rotwein in ihrem Atem roch. Aber er hatte auch ihre Angespanntheit bemerkt, eine innere Abwehr, eine Distanz, die nicht in ihrer Stimme geklungen hatte, als sie damals bei ihm angerufen hatte.
An jenem
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