Der Verehrer
Abend, dachte er, hätte ich sofort losfahren müssen. Sie war schwach. Sie fühlte sich einsam. Sie hatte jegliches Selbstvertrauen verloren. Ich hätte nur die Arme ausbreiten müssen, und sie hätte sich hineinsinken lassen. Inzwischen, das sah er deutlich, hatte sie ihren Tiefpunkt überwunden. Auf geheimnisvolle Weise waren ihre Kräfte zurückgekehrt. Sie trug den Kopf wieder hoch und hatte ihre Angst im Griff.
Er konnte sie nicht mehr sehen, nur das Licht der Taschenlampe hüpfte geisterhaft zwischen den Bäumen im Garten umher.
»Und – siehst du etwas?« rief er.
»Nein.« Sie schälte sich aus der Dunkelheit, kehrte auf die Veranda zurück. »Da war nichts. Aber ich bin absolut sicher, daß ich etwas gehört habe.«
Unwirsch sagte er: »Ein Tier, das habe ich doch schon gesagt. Die kommen nachts aus dem Wald und gruscheln herum.«
»Es war ein Husten«, beharrte Leona, »und zwar ein
menschliches Husten.« Im Licht, das aus den Fenstern fiel, sah sie blaß aus. »Ich kann mich doch nicht so täuschen!«
»Ich muß sagen, ich finde es bemerkenswert, wie du dich noch auf deine Umgebung konzentrieren kannst, während du geküßt wirst«, meinte Bernhard.
Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Zum Teufel, er war wirklich gierig nach dieser Frau! Die Berührung ihrer Lippen hatte bewirkt, daß er in diesem Moment nicht einmal den Einschlag einer Bombe neben sich wahrgenommen hätte. »Alle Achtung, du bist ganz schön kaltblütig! «
Sie nahm sich ebenfalls eine Zigarette, wartete einen Moment, ob er ihr Feuer geben würde, griff dann selbst nach den Streichhölzern.
Bernhard hatte keine Lust, höflich zu sein. Er wußte, daß die Aggression, mit der er auf Zurückweisungen durch Frauen reagierte, kindisch war, aber er vermochte sie nicht zu bewältigen.
»Bernhard, ich habe dich damals angerufen, weil ich …«, begann Leona, aber er unterbrach sie sofort: »Hör auf mit Erklärungen! Du hättest mir gleich sagen können, daß du nur einen guten Onkel suchst, der dein Händchen hält.«
Leona merkte, daß nun auch in ihr Wut erwachte. »Ich habe jedenfalls nie gesagt, daß ich eine Affäre mit dir beginnen will. Ich brauche einen Freund. Keinen Liebhaber.«
»Entschuldige bitte, aber du bist weiß Gott keine siebzehn mehr. Allmählich müßtest du die Spielregeln kennen. Glaubst du ernsthaft, ein Mann setzt sich ins Auto und fährt in den hinterletzten Winkel Deutschlands, nur um seine starke Schulter zum Anlehnen oder sein Ohr zum Anlabern anzubieten?«
»Bisher«, sagte Leona kalt, »habe ich mich weder angelehnt noch gelabert. Ich habe dir ein Abendessen gekocht
und mich mit dir unterhalten. Unser damals geplantes Treffen war längst abgesagt. Du bist auf eigene Faust hergekommen, das weißt du.«
Sie zog sich den Aschenbecher heran und bemühte sich, ruhig zu werden. Es hatte keinen Sinn zu streiten. Sie mußte Bernhard bis zum nächsten Morgen aushalten – alkoholisiert, wie er war, konnte sie ihn nicht heimschicken.
»Warum streiten wir eigentlich?« fragte sie vernünftig. »Es gibt keinen Grund. Wir hatten ein Mißverständnis, das ist alles. Laß uns zusammen den Wein zu Ende trinken und einander nicht mehr angiften.«
Bernhard setzte sich wieder, griff nach seinem Glas, kippte den Inhalt hinunter, griff nach der Flasche, schenkte sich ein und trank ebenso aggressiv und hastig wie zuvor.
»Dir wird ziemlich schlecht sein morgen früh, wenn du so weitermachst«, sagte Leona.
Er gab zurück: »Das ist meine Sache, oder?«
»Natürlich.«
Sie hatte sich nicht wieder hingesetzt und begann nun, das Geschirr auf dem Tablett zusammenzustellen. Die Weinflasche und Bernhards Glas ließ sie zurück.
»Ich gehe schlafen. Wenn du ins Haus kommst, schließe bitte die Tür hinter dir zu. Dein Zimmer ist oben, erste Tür links. Du findest dort alles, was du brauchst.«
Wie sie erwartet hatte, blieb er draußen sitzen und ließ sie den Abwasch ganz allein machen. Während sie zornig und lautstark mit Tellern und Töpfen klapperte, überlegte sie, daß sie damals tatsächlich einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte, als sie Bernhard ihren Aufenthaltsort mitteilte. Nun war er ohne weitere Absprache bei ihr aufgekreuzt, saß dort draußen, betrank sich und zeigte die unangenehme Seite seines Charakters. Abgesehen davon,
daß sich Leona unbehaglich fühlte in seiner Gegenwart, machte sie auch dieses ominöse Husten oder Räuspern sehr nervös. Konnte es sein, daß jemand – Robert? –
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