Der Verehrer
es auch nicht gleich in der Gegend herumposaunen«, meinte Olivia etwas gekränkt.
»Carolin hat schon recht«, gab Julius zu. »Je weniger Leute Bescheid wissen, um so besser. Mich wundert nur, daß Wolfgang dich ins Vertrauen gezogen hat, Carolin!«
»Weil ich eine so unzuverlässige, unstete Person bin?« fragte Carolin aggressiv.
Elisabeth seufzte. »Das wollte Vater doch damit gar nicht sagen. Aber du hattest nie ein besonders gutes Verhältnis zu Wolfgang.«
»Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Leona, das ist entscheidend«, entgegnete Carolin. »Sie braucht jemanden zum Reden. Schließlich hat sie eine schwierige Situation durchzustehen. Und deshalb fahre ich zu ihr.«
Sie hatte beschlossen, der Familie nichts davon zu sagen, daß Leona vorhatte, ihr Exil zu verlassen, und daß sie hinfuhr, um ihr diesen Plan auszureden. Es hätte Elisabeth und Julius nur erschreckt und geängstigt, davon zu hören.
»Ich kann verstehen, daß sich Leona nach einem Menschen sehnt, der ihr Gesellschaft leistet«, sagte Elisabeth.
Sie sah müder und älter aus als sonst. Die Geschehnisse um Robert und Leona hatten sie tief verstört. Sie versuchte, ihre Angst vor der Familie zu verbergen, schlief aber schlecht und konnte kaum etwas essen. Viele Male am Tag betete sie darum, die Geschichte möge ein rasches und gutes Ende finden.
»Aber ist das nicht zu gefährlich, Carolin? Ich meine, wenn du hinfährst, dann …«
»Robert ist nicht hier in der Nähe. Das hätten wir längst bemerkt. Wenn überhaupt, dann beschattet er Wolfgang. Deshalb fährt der ja auch keinesfalls hin. Aber ich werde ständig in den Rückspiegel schauen. Wenn ich irgend etwas Verdächtiges bemerke, wechsle ich sofort den Kurs.«
»Ich halte das für zu riskant«, beharrte Olivia.
Dany, die mit am Tisch saß und leise brummend ihren Oberkörper vor und zurück wiegte, gab ein paar zornige Laute von sich. Olivia schob ihr rasch einen Löffel mit Cornflakes in den Mund.
»Was sagt denn Ben zu deinem Plan?« wollte Julius wissen.
Ben saß als einziger der Familie nicht mit am Tisch. Er war erst gegen vier Uhr morgens von einer Party zurückgekommen und schlief noch.
»Ich habe ihm nichts gesagt«, entgegnete Carolin kurz.
»Fahren wir zu Tante Leona?« fragte Felix aufgeregt.
Carolin nickte. »Klar. Heute noch. Und du darfst mit!«
»Du solltest das Kind hierlassen«, sagte Elisabeth. »Das alles ist nicht ungefährlich. Verstricke den Kleinen nicht in diese Geschichte!«
»Mami, du siehst wieder einmal Gespenster. Robert hat keine Ahnung, wo Leona ist, sonst hätte er sich nämlich längst bei ihr blicken lassen. Er ist auch nicht hier, um mir zu folgen. Er hockt selber irgendwo in einem Versteck und hofft, daß ihn die Bullen nicht finden. Es gibt überhaupt keinen Grund zur Sorge!«
Sie brach eineinhalb Stunden später auf. Julius lieh ihr seinen Wagen, nicht ohne zu betonen, sie solle seiner Ansicht nach lieber daheim bleiben. Felix saß auf der Rückbank in seinem Kindersitz, hatte Spielsachen und Malpapier neben sich liegen und war voller Vorfreude. Er mochte Tante Leona. Sie war immer so nett zu ihm und schenkte ihm Kaugummi oder Wasserpistolen. Er war gespannt, ob sie diesmal wohl auch eine Überraschung für ihn bereithielt.
Weit und breit war kein anderes Auto zu sehen, als Carolin die Landstraße entlangfuhr. Niemand folgte ihr, niemand schien sie zu beobachten. Entspannt lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück.
Sie freute sich auf das Wiedersehen mit Leona.
Kurz bevor der Zug in Frankfurt einfuhr, verließ Lisa noch einmal ihr Abteil. Sie wollte sich in der Toilette frisch machen und außerdem einen letzten Versuch unternehmen, Lydia vom Zugtelefon aus zu erreichen. Sie hatte es am Vortag fünfmal bei ihr probiert, aber nie war jemand an den Apparat gegangen. Es hatte Lisa irritiert, von der Frau, mit der sie eine Verabredung getroffen hatte, nichts mehr
zu hören, aber sie sagte sich, daß Lydia berufstätig sein mochte oder verreist war und trotzdem am Samstag um ein Uhr wie besprochen in ihrer Wohnung auf sie warten würde. Sie hoffte von ganzem Herzen, daß die Fremde nicht ihre Meinung geändert hatte und einem Gespräch über Robert Jablonski nun aus dem Weg gehen wollte. Während ihres ersten – und bisher letzten – Telefongespräches hatte Lisa Lydia gebeten, es ihr aufrichtig zu sagen, wenn sie letztlich doch keine Zusammenkunft wünschte.
»Sie können mich jederzeit anrufen. Wenn ich nicht da bin, läuft
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