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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ein Band. Ich könnte es verstehen, wenn Sie über all diese Dinge nicht mehr sprechen wollten, obwohl ich mir natürlich sehr wünschen würde, etwas über den Mann zu erfahren, der … der meine Schwester umgebracht hat.«
    Lydia hatte den Eindruck gemacht, als erschrecke sie geradezu bei der Vorstellung, die Verabredung könne am Ende noch scheitern.
    »Nein, wo denken Sie hin! Natürlich werde ich alle Fragen beantworten.«
    Sie legte einen Übereifer an den Tag, den Lisa fast als etwas aufdringlich empfand.
    »Wissen Sie, ich freue mich auf Ihren Besuch. Ich bin Frührentnerin, und es gibt so wenige Menschen in meinem Leben …«
    Stimmt, Frührentnerin hat sie gesagt, dachte Lisa nun, während sie sorgfältig die Tür der Zugtoilette hinter sich verriegelte. Dann ist sie also nicht berufstätig! Komisch, daß sie dann den ganzen Tag und Abend nicht ans Telefon geht. Andererseits – es kann tausend Gründe dafür geben.
    Der Zug schwankte und schaukelte. Irgend jemand hatte gründlich danebengepinkelt. Lisa haßte solche Leute. Kaum standen sie unter dem Schutz der Anonymität,
und kaum benutzten sie ein fremdes Bad, fielen Zivilisation und Erziehung von ihnen ab, und sie benahmen sich wie Höhlenmenschen – falls nicht diese sogar mehr Manieren an den Tag gelegt hatten. Vermutlich waren es solche Leute sogar, die sich nachher am lautesten über den Hundekot in den Straßen beschwerten.
    Lisa balancierte um die widerliche Pfütze herum und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Das Licht in diesem Raum war miserabel und verlieh ihr eine kränkliche Hautfarbe. Sie legte etwas mehr Make – up auf, tupfte mit dem Rougepinsel ein paarmal über ihre Wangenknochen. Sie tuschte die Wimpern nach und malte sorgfältig die Lippen in einem dunklen Rot aus. Sie genoß es, schöne, teure Kosmetik zu benutzen, nicht mehr das billige Kaufhauszeug. Auch machte es Spaß, wirklich elegante Klamotten zu kaufen, sich in feinen Geschäften beraten zu lassen.
    Für die Fahrt nach Frankfurt hatte sie einen Hosenanzug aus rehbraunem, sehr feinem Wildleder gewählt; darunter trug sie eine cremefarbene Seidenbluse. In den Ohren und um den Hals Perlen – echte Perlen! Das Geschenk eines Immobilienmaklers aus Düsseldorf, der sie für einen Abend in München gebucht hatte. Sie waren ins Theater und danach in ein Restaurant gegangen, und dann war er ihr ohne viele Umschweife in ihre Wohnung gefolgt. Er hatte sie gefragt, ob sie tolerant sei, und durchblicken lassen, daß er sich ihre Toleranz einiges würde kosten lassen. Lisa war längst an einem Punkt angelangt, an dem sie die Dinge nur noch unter dem geschäftlichen Aspekt sah. Seine Wünsche erwiesen sich in der Tat als höchst ausgefallen, aber offenbar erfüllte sie sie zu seiner Zufriedenheit. Am nächsten Morgen schleppte er sie zu einem Juwelier und zahlte ein halbes Vermögen für die Perlen. Er würde einmal im Monat nach München kommen, kündete
er an, und Lisa hatte bei dem Juwelier schon einen Brillantring erspäht, auf den hinzuarbeiten sie beschlossen hatte.
    Trotz des penetranten Uringestanks und der unschönen Beleuchtung mußte Lisa lächeln. Kaum zu glauben, welch positive Wendung ihr Leben genommen hatte! Eine hübsche Wohnung, schöne Kleider, Geld, unterhaltsame Abende mit reichen, interessanten Männern. Zum ersten Mal in ihrem ganzen Dasein liebte sie ihr Leben wirklich. Und doch hatte sie immer wieder das Gefühl, es gebe da etwas, das sie hinderte, ihre Freude so hemmungslos auszukosten, wie sie das gerne getan hätte. Immer wenn sie sich hinsetzen, tief durchatmen und ihr Glück mit allen Fasern spüren wollte, schlich sich etwas Dunkles, Drohendes, dessen Herkunft und Beschaffenheit sie nicht ausmachen konnte, heran und setzte sich wie ein großes Hindernis in die Bahnen, über die ihre Freude strömen wollte. Jedesmal versuchte sie, »es«, wie sie es nannte, beiseite zu schieben, jedesmal scheiterte der Versuch. Es durchzog ein Gift ihr Leben, dessen sie nicht Herr werden konnte. Irgendwann war ihr der Gedanke gekommen, es könne mit ihrer Schwester zusammenhängen, und daher hatte sie Kommissar Hülsch aufgesucht, von dem sie spürte, daß er es immer gut mit ihr gemeint hatte. Nun hoffte sie, das Wochenende mit Lydia würde »es« für alle Zeiten in der Versenkung verschwinden lassen. Wenn nur die Alte nicht plötzlich kniff!
    Wäre eine Frechheit, dachte Lisa, nachdem ich mich stundenlang in den Zug gesetzt habe!
    Sie tupfte etwas Parfüm hinter die

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