Der Verehrer
Versteck verriet.
»Ich sehe da gar kein Problem. Die kontrollieren doch nichts mehr. Wir fahren da hinüber und merken es selber kaum.«
Er fuhr zügig, aber umsichtig und konzentriert. Es wurde sehr warm im Wagen, Leona kurbelte ihr Seitenfenster ein Stück hinunter, hielt ihr Gesicht in den Wind. Sie mühte sich, die Bilder zu verdrängen, die ihr Gehirn ihr immer wieder vorzuführen versuchte: Felix, eingesperrt in irgendeinem dunklen Verlies, gefesselt und geknebelt; Felix in einem Erdloch, in einem Verschlag , weinend, voller Angst und Verzweiflung, vielleicht auch voll kindlichem Vertrauen, daß seine Mutter kommen und ihn holen würde; ein Vertrauen, das von Stunde zu Stunde schwächer werden und sich schließlich unter all der Pein auflösen würde.
Irgendwann wagte sie einen Vorstoß.
»Es kann gar nicht leicht gewesen sein, so schnell ein geeignetes Versteck für das Kind zu finden«, sagte sie leichthin.
Roberts Blick blieb nach vorn auf die Straße gerichtet.
»Ich habe das am Samstag nachmittag vorbereitet. Ich hatte vor, ihn irgendwann am Abend aus dem Garten zu entführen. Aber dann seid ihr zu dieser Party gegangen, und alles wurde noch viel einfacher.«
»Ich verstehe. Hast du keine Angst, ihm könnte … irgend etwas zustoßen?«
»Ihm kann nichts zustoßen, Leona. Mach dir keine Sorgen. Er soll nicht sterben. Er soll nur unsere Garantie darstellen, nach Südamerika reisen zu können.«
»Natürlich.«
Sie wußte, daß es zwecklos war. Er mochte sich einreden, daß sie auf seiner Seite stand, daß sie diese Flucht auf einen anderen Kontinent ebenso wollte wie er, aber auf eine schizophrene Weise war ihm daneben durchaus klar, daß sie versuchen würde, ihm ein Bein zu stellen, sowie sie den Aufenthaltsort des Kindes kannte. Er würde dieses Pfand nicht aus den Händen geben.
»Wovon werden wir leben in Südamerika, Robert?«
»Das werden wir sehen. Für den Anfang haben wir dort genug Geld. Ich habe es auf eine Bank in Paraguay transferieren lassen.«
Das Geld für den Verkauf des Anwesens in Ronco. Dort war es also gelandet.
»Ronco?« fragte sie.
Jetzt war sein Lächeln von Wehmut durchzogen.
»Hat Lydia dir wirklich diesen Unsinn einreden können? Die Geschichte mit der Villa in Ronco?«
»Lydia? Du hast immer …«
»Es war traurig, aber Eva konnte Wahrheit und Unwahrheit nicht auseinanderhalten. So, wie sie gute und schlechte Männer nicht auseinanderhalten konnte. Das arme Ding! All diese Phantasien, die sie der alten Lydia aufgetischt hat … Es gibt keine Villa in Ronco, Leona. Es gab nie eine. Alles Lüge.«
»Woher hast du dann Geld?«
»Evas Wohnung in Frankfurt. Ich habe sie verkauft. Das waren immerhin fast siebenhunderttausend Mark.«
Nie hatte sie daran gedacht. Nie war ihr eingefallen, daß der chronisch geldknappe Robert doch aus dem Verkauf
der Wohnung seiner Schwester bestimmte Mittel hätte haben müssen .
»Ein Teil gehörte natürlich ihrem verkommenen Exehemann«, sagte Robert, »aber nicht alles. Eine halbe Million gehört uns.«
»Wie schön.«
Ihre Stimme hörte sich an, als habe sie etwas verschluckt, das ihr nun im Hals steckte.
»Damit können wir eine Zeitlang gut leben.«
»Ich will, daß du gut lebst, Leona«, sagte Robert sanft, »du sollst dich nicht einschränken müssen. Ich werde dir schöne Dinge kaufen. Kleider und Schmuck. Einen neuen goldenen Ring, den du immer tragen wirst. Ich weiß, daß Bernhard Fabiani dir den alten Ring weggenommen hat, aber ich verspreche dir, das wird nicht mehr passieren. Er kann dir nichts mehr tun.«
»Das … freut mich«, flüsterte sie.
»Du wirst dir deine Haare wachsen lassen, nicht wahr? Sie werden lang sein und im Wind wehen.«
»Ja.«
Zum erstenmal sah er von der Straße fort und zu Leona hin. Sein Blick war voller Zärtlichkeit und Wärme.
»Ein ganzes Leben, Leona«, sagte er, »ein ganzes Leben für uns beide.«
Sie wiederholte den Text wie eine folgsame Schülerin.
»Ja, Robert. Ein ganzes Leben für uns beide.«
9
»Ich habe gewußt, daß etwas nicht stimmt«, sagte Tim, »ich habe es gefühlt . Deine Schwester war so komisch. Wie sie uns lapidar mitteilte, das Kind sei wiederaufgetaucht,
uns dann da draußen stehenließ und mir erklärte, ich könne nicht zum Frühstück bleiben … Und sie klang so monoton, als leiere sie einen auswendig gelernten Text herunter … Irgendwann hab’ ich es nicht mehr ausgehalten. Ich dachte, ich gehe da noch mal hin, auch wenn Carolin mir den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher