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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Seminar, und danach wollte jeder mir noch Fragen stellen, und zu guter Letzt habe ich mich hier in den Straßen verfahren.«
    »Allzuoft warst du ja auch nicht hier«, entgegnete Robert kurz.
    Er schien hin- und hergerissen zwischen seinem Haß auf den Mann, der seine Schwester in den Tod getrieben hatte, und einem gewissen Stilgefühl, das es ihm gebot, auch einen Feind höflich zu behandeln.
    »Möchtest du vielleicht einen Kaffee, Bernhard?« fragte er schließlich.
    »Das wäre sehr nett«, sagte Bernhard.
    Er sah bleich und abgespannt aus. Leona hatte ihn sich völlig anders vorgestellt: als silberhaarigen Lebemann, als eitlen Professor, als großschnäuzigen Angeber.
    Wie sehr wir doch alle immer an Klischees festhalten, dachte sie nun.

    »Um gleich zur Sache zu kommen, Bernhard«, sagte Robert, nachdem er Lydia mit einer Handbewegung in die Küche gewiesen hatte, den Kaffee zu holen, »es gibt hier noch eine Menge Sachen, die dir und Eva gehört haben, die du ihr nach der Scheidung aber allein überlassen hast. Sie gehören also dir. Zum Beispiel praktisch alle Möbel.«
    Bernhard nickte und sah sich um. »Wenn jemand Verwendung dafür hätte …«
    »Niemand«, sagte Robert sofort, und sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, daß er eigentlich meinte: Niemand will deine Möbel!
    »Ich habe keinen Platz für all das«, sagte Bernhard, »das eine oder andere vielleicht, aber …«Er zuckte hilflos die Schultern. »Gibt es eine Einrichtung, der man Möbel spenden kann?« fragte er. Ein wenig wirkte er in diesem Moment wie das landläufige Bild eines zerstreuten Professors: unpraktisch und ziemlich überfordert.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Robert, nicht im mindesten gewillt, ihm zu helfen.
    Lydia erschien mit der Kaffeetasse. Der Professor bedankte sich, trank im Stehen.
    Lydia ging wieder in die Küche zurück, um das Geschirr weiter zu sichten, und Robert folgte ihr, um sich auch noch einen Kaffee zu holen. »Für Sie auch, Leona?« fragte er.
    »Danke. Ich gehe sowieso gleich.«
    Sie blieb mit Bernhard allein zurück. Sie wünschte, sie würde nicht so ein albernes Mitleid für diesen Mann empfinden.
    Er sah unglücklich aus, mitgenommen von den Ereignissen.
    Er hat Eva gequält, rief sie sich ins Gedächtnis. Er hat sie vielleicht sogar geliebt, aber er konnte vermutlich an keiner Studentin vorbeigehen. Damit hat er sie fertiggemacht,
ob er das wollte oder nicht. Und er ist alt genug, verantwortlich gemacht zu werden.
    »Sie sind eine Freundin von Eva gewesen?« unterbrach er die bedrückende Stille.
    »Nein. Ich kannte sie eigentlich gar nicht.«
    Sie erzählte, wie sie an jenem Mittag vorbeigekommen war. Sicher hielt er sie nun für besonders raffgierig. Erschien zufällig am Ort des Geschehens und nutzte dies sofort, sich in die Reihe derer, die etwas aus Evas Hinterlassenschaft abstauben konnten, einzureihen. Aber sie war es leid, schon wieder zu erklären, weshalb sie hier war, und den wahren Grund konnte sie ohnehin nicht nennen.
    Aber Bernhard schien nichts Schlechtes über sie zu denken. Er betrachtete sie mitfühlend.
    »Was für ein furchtbares Erlebnis für Sie! Sicher belastet Sie das alles sehr.«
    »Ich träume manchmal davon. Es ist … es ist so eine Tragödie.«
    Sie fand, daß ihre Worte banal klangen, aber er nickte zustimmend, so als habe sie genau das Richtige gesagt.
    »Ja«, meinte er, »das ist es. Eine wirkliche Tragödie.«
    Robert kam mit seinem Kaffee ins Zimmer zurück. »Am besten, du nimmst jetzt einfach mit, was du magst und kannst«, sagte er zu Bernhard. »Bücher oder Bilder vielleicht. Möglicherweise gehört dir auch etwas von dem Porzellan in der Küche, aber da mußt du dich beeilen. Lydia reißt sich unter den Nagel, was sie nur kriegen kann.«
    »Ich werde sicherlich nicht in einen Wettstreit mit ihr treten«, erklärte Bernhard. Er klang schroff. »Ich will mich bestimmt nicht an Evas Tod bereichern.«
    »Das will keiner von uns«, entgegnete Robert scharf. »Aber wir können das alles hier schließlich nicht einfach stehenlassen und die Tür hinter uns zuziehen.«

    Nun schwang offene Aggression im Raum. Auf der einen Seite der Mann, der seine kleine Schwester geliebt hatte, auf der anderen Seite der Mann, dem unterstellt wurde, sie durch sein Verhalten in den Tod getrieben zu haben.
    Da ist noch viel mehr Haß, als ich ahnte, dachte Leona beklommen.
    »Ich muß jetzt wirklich gehen«, sagte sie rasch. Sollten die beiden an diesem Abend noch aufeinander

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