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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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verschleiert von Traurigkeit, blickten schmerzerfüllter drein als bei der Beerdigung. Er sah Leona an, dann stand er auf und
kam auf sie zu. In der Hand hielt er ein altes, verstaubtes Buch.
    »Guten Abend, Leona«, sagte er. Er streckte ihr die Hand hin. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.«
    Er sah wirklich gut aus, das stellte sie erneut fest, und unter normalen Umständen hätte sie sich jetzt über ihre nassen Haare und ihr graues, abgespanntes Gesicht geärgert. Aber wie die Dinge lagen, hatte sie ganz andere Sorgen, und es konnte ihr gleich sein, wie sie auf ihn wirkte.
    Sie standen einander etwas verlegen gegenüber, dann machte Robert eine hilflose Handbewegung , mit der er das ganze chaotische Zimmer umfaßte.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß es mir so schwerfallen würde, hier in ihren Sachen herumzukramen. Ständig stoße ich auf persönliche Dinge, die tausend Erinnerungen in mir heraufbeschwören. Ich sitze da und grübele, und wahrscheinlich bin ich in einem halben Jahr noch nicht mit allem durch.«
    »Ich kann mir vorstellen, daß das alles sehr schlimm ist für Sie.«
    »Wissen Sie, ich fange jetzt erst an, es langsam zu begreifen. Mir geht es jetzt viel schlechter als an dem Tag, an dem ich von ihrem Tod erfahren habe. Es ist so unfaßbar«, er schüttelte den Kopf, »es ist so unfaßbar, wie sie sich hat töten können! Sie war eine schöne Frau, sie hätte jeden Mann haben können! Warum mußte sie sich wegen diesem umbringen?«
    »Vielleicht wollte sie nur ihn«, sagte Leona gepreßt.
    Er warf ihr einen raschen Blick zu. »Ja. Sie wollte wohl nur ihn.«
    Er zeigte ihr das Buch. Ein altes Gedichtbändchen, in Leinen gebunden.
    »Rilke. Das habe ich ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag
geschenkt. Im Grunde ist es das einzige, was ich von ihr haben möchte.«
    »Sie haben Ihrer Schwester sehr nahegestanden?«
    »Wir waren ein Herz und eine Seele, früher, als Kinder. Wir wuchsen in einem wunderschönen Haus in Ronco auf, hoch über dem Lago Maggiore. Es gab nichts, was wir nicht gemeinsam taten. Das änderte sich erst, als sie … als sie sich in diesen Fabiani verliebte. Sie war wie besessen von ihm. Ich habe sie gewarnt und gewarnt – vergeblich.« Er betrachtete nachdenklich das schmale Buch in seinen Händen. »Und doch blieben wir innerlich sehr verbunden. Wir sind die letzten, die übrig sind von der Familie, Eva und ich. Das heißt: Jetzt bin es nur noch ich.« Der Schmerz in seiner Stimme, in seinen Worten klang echt und bestürzend.
    Eine Familie, die ausstirbt, dachte Leona. Die Eltern sind tot. Und nun steht er hier an einem verregneten Septembertag in einer Wohnung in Frankfurt und sichtet den Nachlaß seiner achtunddreißigjährigen Schwester, die sich aus dem Fenster in den Tod gestürzt hat. Und es zerreißt ihm fast das Herz.
    »Ich wollte eigentlich gar nicht herkommen«, sagte sie. Mehr noch als zuvor bei Lydia hatte sie das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. » Ich … mir steht hier eigentlich nichts zu.«
    »Das sehe ich anders«, erwiderte Robert. »Es bedeutet mir sehr viel zu wissen, daß sofort jemand bei Eva war, nachdem es passiert ist. Daß jemand mit ihr gesprochen hat. Sie war nicht allein.«
    »Das war aber nicht mein Verdienst. Es war Zufall, daß ich vorbeikam.«
    »Es gibt keinen Zufall«, sagte Robert und lächelte. Sein Lächeln war so warm wie seine Augen.

    Lydia streckte den Kopf ins Zimmer. »Das chinesische Teeservice – kann ich das haben?«
    Robert zündete sich eine Zigarette an. »Natürlich. Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie können nehmen, was Sie möchten.«
    »Und das englische…«
    »Alles« , sagte Robert genervt. Lydia verschwand.
    Robert nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. »Irgendwie geht mir diese Frau schrecklich auf die Nerven. Ich muß mir wirklich Mühe geben, nett zu ihr zu sein. Ich frage mich, was Eva so zu ihr hingezogen hat!«
    »Vielleicht brauchte sie einfach jemanden zum Reden«, meinte Leona, »und Lydia war eben da. «
    Mit wem würde sie reden, wirklich reden, wenn Wolfgang gegangen war? Die Angst vor einer leeren, dunklen Zukunft griff kalt an ihr Herz. Sie konnte etwas erahnen von der Verzweiflung, die Eva umgetrieben, die ihr Handeln bestimmt hatte.
    Robert betrachtete sie nachdenklich. »Ist wirklich alles in Ordnung, Leona? Sie klangen schon gestern am Telefon so eigenartig.«
    »Es ist wirklich alles in Ordnung. Ich bin zur Zeit nur etwas überarbeitet, das ist alles.«
    Sie hatte nicht den Eindruck, daß

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