Der Verehrer
ich würde mich nie von dem Haus trennen. Die Urgroßeltern meines Mannes haben es gebaut. Ich möchte, daß es jemand bekommt, der es liebt. Nicht irgendeine Baugesellschaft, die es sofort abreißt und einen großen Klotz mit fünfzehn Eigentumswohnungen statt dessen hinstellt.«
»Wir würden es lieben«, hatten Leona und Wolfgang wie aus einem Mund gesagt.
Allein kann ich es nur schwer halten, dachte Leona nun, und überhaupt nicht, wenn ich Wolfgang auszahlen muß.
Sie dachte an ihren Garten, den sie gehegt und gepflegt und liebevoll bepflanzt hatte, und die Tränen stiegen ihr in die Augen. Bisher hatte sie nicht geweint, sie war immer noch zu betäubt. Sie würgte und schluckte. Es fehlte noch, daß sie auf offener Straße losheulte.
Sie hatte nicht die Kraft, jetzt nach Hause zu gehen. Gestern nacht, oder besser: heute in den allerfrühesten Morgenstunden, am Ende ewigwährender, aufreibender, zermürbender Gespräche mit Wolfgang, hatte sie ihm gesagt, er möge so schnell wie möglich ausziehen, und er hatte versprochen, ihrem Wunsch nachzukommen. Vielleicht stand er jetzt daheim im Schlafzimmer und packte seine Koffer. Dann würde sie weinen.
Kurzentschlossen lenkte sie ihre Schritte in Richtung von Evas Haus.
Sie war nie mehr dagewesen seit jenem Tag vor sechs Wochen. Und auch jetzt, als sie das Haus sah und die Straße davor, schauderte sie unwillkürlich und mußte sofort wieder das Bild der todgeweihten Frau verdrängen, die dort verdreht und verkrümmt vor ihr gelegen hatte.
Sie hastete auf den Eingang zu und musterte die Klingelschilder. Fabiani stand noch dort, so als sei nichts geschehen, als sei die Wohnungseigentümerin noch am Leben.
Mit einem Summton öffnete sich die Tür. Kühl und dämmrig empfing Leona das Treppenhaus. Ihr wurde nun erst bewußt, wie naß sie im Nieselregen geworden war. Sie fror, und der Kopfschmerz, der sie die halbe Nacht lang gepeinigt hatte, kündigte sich wieder an.
Ich muß zum Wegwerfen aussehen, dachte sie, während sie die Treppen hinaufstieg , hoffentlich fragen sie mich nicht, ob ich krank bin oder Kummer habe.
Lydia erwartete sie oben in Evas Wohnungstür und fragte sofort: »Ist etwas mit Ihnen? Sie sehen aber schlecht aus! Haben Sie Ärger in Ihrem Verlag, oder ist Ihre Erkältung schlimmer geworden?«
»Ich bin einfach nur naß«, entgegnete Leona etwas unwirsch, »es regnet draußen.«
»Mein Gott, dann kommen Sie nur schnell rein!« Sie zog Leona in den Flur, nahm ihr den Mantel ab. »Möchten Sie trockene Sachen von mir haben?«
»Nein, danke. Ist Evas geschiedener Mann schon da?« erkundigte sich Leona.
Im Garderobenspiegel erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht. Sie sah bleich und elend aus, so elend, wie sie sich fühlte. Die langen, blonden Haare klebten pitschnaß an ihrem Kopf.
»Der ist noch nicht da. Aber er wollte heute abend noch kommen. Sicher wird er an sich raffen, was er nur kann.«
»Ich möchte im Grunde gar nichts haben von Evas Sachen, Lydia. Mir ist es richtig peinlich, hier aufzukreuzen. «
»Aber das muß Ihnen nicht peinlich sein. Robert hat keine Ahnung, wohin mit all den Sachen. Er hat nur eine kleine Wohnung in Ascona, und die ist komplett eingerichtet. Es war seine Idee, wie ich schon sagte, daß wir Sie anrufen und bitten, vorbeizukommen.«
Leona sagte sich, daß Lydia wohl recht hatte. Sie wußte aber auch, sie wäre nie hierhergekommen, wenn sich in ihrem privaten Leben nicht eine Katastrophe ereignet hätte und der Himmel über ihr eingestürzt wäre.
»Gehen Sie doch schon mal ins Wohnzimmer«, sagte Lydia und wies auf eine halboffene Flügeltür am Ende des Flurs. »Ich sortiere in der Küche gerade das Porzellan aus, das ich behalten möchte.«
Leona trat ins Wohnzimmer. Hier sah es bereits nach einer Wohnungsräumung aus: Die Möbel waren kreuz und quer gerückt, der Teppich zusammengerollt. Grauverfärbte Rechtecke an den Wänden wiesen darauf hin, daß dort bis vor kurzem noch Bilder gehangen hatten. Bücherstapel türmten sich auf dem Boden. Durch die geöffnete Terrassentür strömte kühle Regenluft herein.
Inmitten des Durcheinanders kniete Robert. Er hatte Leona den Rücken zugewandt, und sie konnte nicht genau erkennen, was er tat; er schien in einem Buch zu blättern. Er war so vertieft, daß er wohl nicht einmal die Klingel wahrgenommen hatte.
Sie räusperte sich und sagte: »Guten Abend!«
Er schrak zusammen und drehte sich um.
Seine warmen graugrünen Augen waren wie
Weitere Kostenlose Bücher