Der Verehrer
aneinander.
»Leona, ich muß in zehn Minuten in einer Konferenz sein…«
»Gut. Zehn Minuten reichen mir. Also?«
»Was willst du wissen?«
»Wie es weitergehen soll.«
»Himmel, Leona, das weiß ich im Moment auch nicht ganz genau. Ich habe mir erst einmal alles geholt aus dem Haus, was ich brauche an Kleidungsstücken, Büchern und Akten. Vorläufig werde ich dich dort also nicht mehr behelligen. «
»Ich werde sowieso die nächste Woche nicht dasein.«
»Wohin fährst du?«
»Zu meinen Eltern. Wir hatten das schließlich langfristig geplant. Sie freuen sich auf uns. Ich kann das jetzt nicht plötzlich absagen.«
Er klang etwas unsicher. »Wissen sie, daß wir …«
»Nein. Ich wollte es ihnen nicht telefonisch sagen. Es wird sie sehr treffen.«
»Sie werden es letztendlich verstehen.«
Verstehen, dachte Leona, wie denn? Ich verstehe es ja selbst nicht!
»Wolfgang, ich muß wissen, was aus dem Haus werden soll«, sagte sie ohne Übergang. »Es gehört uns beiden. Ich kann dich nicht auszahlen. Wenn du deinen Anteil haben möchtest, müssen wir es verkaufen.«
Er schwieg einen Moment. »Wir sollten nichts überstürzen«, meinte er dann. »Bleib doch einfach vorläufig dort wohnen.«
»Was wird aus Tilgung und Zinsen?«
»Solange wir nicht wissen, was werden soll, zahle ich meinen Teil selbstverständlich weiter.«
»Ich will aber wissen, was werden soll«, beharrte Leona, »ich will nicht in dem Haus sitzen und auf den Tag warten, an dem du mich hinausschmeißt.«
»Du weißt ganz genau, daß ich dich nie hinausschmeißen würde«, sagte Wolfgang ärgerlich. »Ich könnte es außerdem gar nicht, da das Haus ja zur Hälfte dir
gehört. Hör zu, ich rufe dich am Wochenende an. Ich muß jetzt unbedingt zu dieser Konferenz!«
Leona grübelte den halben Tag über das Gespräch nach. Sie fragte sich, weshalb Wolfgang nicht sofort einem Verkauf des Hauses zugestimmt hatte. Wo lag für ihn der Sinn, wenn sie das Haus behielten, sie darin wohnen blieb und er sich auch noch an den Abzahlungen beteiligte? War er sich am Ende seiner Geschichte mit der anderen Frau gar nicht so sicher? Wollte er sich den Rückweg offenhalten?
Zu ihrem eigenen Ärger weckte dieser Gedanke Hoffnung in ihr. Sie wollte nicht dasitzen und hoffen, daß er gnädig zu ihr zurückkehrte. Sie wollte ihn nicht mehr wollen . Sie wollte, daß er ihr gleichgültig wurde.
»Zu früh, Leona«, sagte sie sich, »zu früh. Du kommst an diesen Punkt, aber es wird seine Zeit dauern.«
Dann kam ihr ein anderer Gedanke, und der erschien ihr als der plausibelste Grund für Wolfgangs Verhalten: Er hätte das Haus gern. Er hätte es gern für sich, seine Fernsehmieze mit der eigenen Talkshow und am Ende noch für eine ganze Schar hoffnungsvollen Nachwuchses. Unter Garantie würde er noch vor Weihnachten mit diesem Ansinnen herausrücken.
Den ganzen Samstag über versuchte er, Leona anzurufen, aber sie ließ den Anrufbeantworter laufen und nahm kein Gespräch an. Sie hatte plötzlich keine Lust mehr, mit Wolfgang wegen des Hauses, wegen der Zukunft zu reden. Sie mußte ihren Koffer packen und sich überlegen, wie sie ihren Eltern die Hiobsbotschaft vom Scheitern ihrer Ehe überbringen sollte.
Wolfgangs Stimme klang von Mal zu Mal ärgerlicher. »Ich weiß, daß du da bist, Leona! Warum gehst du nicht an den Apparat? Du wolltest doch ein Gespräch mit mir!«
»Gestern hattest du keine Zeit, heute habe ich keine«, murmelte Leona. Keine fünf Minuten später klingelte das Telefon erneut, aber diesmal war es Leonas Schwester Olivia, die anrief. Leona nahm sofort den Hörer ab.
»Olivia! Wie schön, dich zu hören!«
»Ich weiß, du kommst morgen«, sagte Olivia, »aber dann ist ja ständig die ganze Familie um uns. Deshalb wollte ich mich vorher noch einmal melden.«
»Ich hätte dich auch schon lange anrufen sollen, ich weiß. Aber bei mir geht zur Zeit alles etwas durcheinander.«
Olivia registrierte sofort, daß Leonas Stimme bedrückt klang. Die beiden hatten von Kindheit an sehr aneinander gehangen, und Olivia wußte genau, wie sich Leona für gewöhnlich anhörte.
»Was ist denn passiert? Du klingst gar nicht gut!«
Es war unerwartet befreiend, endlich einem Menschen gegenüber die Maske fallen lassen zu dürfen.
»Olivia, es ist eine Katastrophe für mich. Wolfgang hat mich verlassen. Er hat eine andere Frau kennengelernt und möchte sich scheiden lassen.«
Vom anderen Ende der Leitung kam ein fast einminütiges Schweigen.
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