Der Verehrer
Ende? fragte sie sich. Sie ist langweilig. Sie stellt keine Herausforderung mehr dar!
Wahrscheinlich war Wolfgangs Neue alles andere als perfekt. Vielleicht hatte sie kurze Haare, zickte häufig herum, rauchte wie ein Schlot, war keinesfalls immer zur Stelle, wenn Wolfgang sie brauchte.
Mit ihrem Glas in der Hand und sehr nachdenklich ging Leona ins Wohnzimmer hinüber. Sie spulte den Anrufbeantworter zurück, um den letzten eingegangenen Anruf abzuhören. Überraschenderweise hörte sie nicht Wolfgangs Stimme.
»Hier ist Bernhard Fabiani. Sie erinnern sich vielleicht noch: der geschiedene Mann von Eva Fabiani. Frau Dorn, ich würde mich sehr gern mit Ihnen treffen. Glauben Sie, das wäre möglich? Rufen Sie mich doch bitte zurück.« Er nannte seine Telefonnummer und verabschiedete sich sehr höflich.
Leona notierte die Nummer, beschloß aber, ihn erst nach dem Urlaub zurückzurufen. Sie fragte sich, was er wohl von ihr wollte. Hoffentlich nicht eine genaue Schilderung von Evas letzten Minuten. Er konnte doch nicht am Ende an ihr als Frau interessiert sein? Man hatte ihn ihr als unersättlichen Schürzenjäger beschrieben. Womöglich war er wirklich ein Mann, der keine Gelegenheit ausließ.
Nicht einmal bei der Frau, die Zeugin des Selbstmordes
gewesen war, den seine Frau wegen seiner ständigen Eskapaden begangen hatte.
7
Es war ein Kampf mit ungleichen Mitteln, ein verbissener, harter Kampf, bei dem niemand aufgeben konnte, aufgeben wollte. Das Kind kämpfte schreiend, die Frau schweigend. Das Kind schlug um sich, trat, boxte, kratzte und spuckte. Die Frau versuchte, die Arme des Kindes festzuhalten und an seinen Körper zu pressen. Sie war größer als das Kind, aber wesentlich zarter gebaut. Das Kind schien über weit ausgeprägtere Kräfte zu verfügen, vor allem schreckte es vor keinem Mittel des Kampfes zurück. Die Frau war unterlegen, weil sie dem Kind ganz offensichtlich keinen Schmerz zufügen wollte. Als das Kind ihr sein Knie in den Unterleib rammte, stieß sie einen unterdrückten Schrei aus und wich zurück. Die Tränen schossen ihr unwillkürlich in die Augen, und sie krümmte sich für einen Moment nach vorn.
Leona, die das Schauspiel atemlos und entsetzt verfolgt hatte, sprang auf.
»Jetzt laß dir doch endlich helfen, Olivia! Du schaffst es doch einfach nicht allein!«
Ihre Schwester richtete sich sofort zu voller Größe auf, obwohl sie sichtlich Schmerzen hatte und nur mühsam aufrecht stehen konnte.
»Nein! Ich will das nicht! Dany soll nicht das Gefühl bekommen, daß wir gegen sie gemeinsame Sache machen. Sie ist mein Kind. Ich muß mit ihr zurechtkommen.«
Unverständliche Laute ausstoßend, hatte sich Dany in eine Zimmerecke zurückgezogen, wo sie mit geballten
Fäusten auf der Erde kauerte. Ihr auffallend großer Kopf schwankte unkontrolliert hin und her, Zornestränen liefen aus ihren Augen.
»Du kommst aber nicht mit ihr zurecht«, sagte Olivias Mutter sanft.
Sie saß auf dem Sofa und strickte einen Pullover für den Sohn ihrer jüngsten Tochter. Sie hatte dem Zweikampf zwischen Olivia und Dany mit der müden Resignation eines Menschen zugesehen, der allzuoft schon Zeuge der immer gleichen Szene geworden war. Die Zeiten, da sie Olivia angeboten hatte zu helfen, waren vorbei. Sie wußte längst, daß ihre Tochter jedes Eingreifen von außen ablehnte.
»Die letzten Wochen waren viel besser«, sagte Olivia in einer Art wütendem Trotz.« »Ich habe keine Ahnung, was heute los ist. Vielleicht ist sie durcheinander, weil Leona da ist.«
»Mein Gott, Olivia, versuche doch nicht immer neue Erklärungen zu finden! Du hättest Dany längst…«
» Was hätte ich längst?« fragte Olivia kampfbereit.
Die beiden Schwestern sahen einander an. So sehr sie einander liebten, beim Thema Dany gerieten sie immer wieder aneinander. Jeder geriet an diesem Punkt mit Olivia aneinander. Olivia wußte, daß Leona das Heim gemeint hatte, in dem man die schwerstbehinderte Dany längst hätte unterbringen müssen, und sie war bereit, ihrer Schwester die Augen auszukratzen, wenn sie es wagen sollte, dies wirklich auszusprechen. Olivia wußte außerdem, daß sie mit ihrer Entschlossenheit, Dany daheim in der Familie aufwachsen zu lassen, völlig allein stand, und sie hatte schon lange das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand gegen eine Übermacht von Feinden zu kämpfen. Sie hatte die chronische Gereiztheit eines bedrängten Tieres in
einer Falle entwickelt. Sie hatte sich in zahllosen Diskussionen um
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