Der Verehrer
äußerst sporadischen Schulbesuche noch irgendeinen Sinn haben konnten.
Dany durfte keine Sekunde allein bleiben. Eine ausgebildete Pflegerin als Hilfe hatten sich ihre Eltern nicht leisten können. Sie hatten es mit wechselnden Haushälterinnen oder Putzfrauen probiert, die für ein Extrahonorar hin und wieder auf Dany hatten aufpassen sollen, damit Olivia wenigstens zum Zahnarzt oder zum Friseur gehen konnte. Aber die Putzfrauen hatten entweder nach kurzer Zeit empört gekündigt, oder sie waren von Olivia gefeuert worden, weil sie Dany zu hart anpackten. Irgendwann war Olivia dann zu ihren Eltern übergesiedelt, den einzigen Menschen, die sie verstanden, denen sie vertraute. Paul hatte
schließlich die Wohnung gekündigt und war der Frau, die er einmal zu sehr geliebt hatte, um ihr nun mit Härte entgegentreten zu können, gefolgt. Für ihn, der in einer Frankfurter Bank arbeitete, bedeutete dies, daß er mehr als vier Stunden täglich im Auto verbrachte und daß er, wenn er morgens ins Bad wollte, eine komplizierte Reihenfolge mit Olivias Eltern, ihrer jüngeren Schwester, deren Freund und dem kleinen Sohn der beiden einhalten mußte. Meist klappte die Organisation nicht, und Paul konnte das Haus nur mit Verspätung verlassen. Jedesmal wenn er dann mit gefährlich überhöhter Geschwindigkeit die Autobahn entlangbrauste und Stiche in seiner Herzgegend ihm sagten, daß er in das Alter kam, in dem sein Körper den Tribut für zuviel Streß und Frustration fordern würde, nahm er sich vor, Olivia vor die endgültige Entscheidung zu stellen: die Entscheidung für sie beide oder für das Kind.
Wenn er dann aber abends heimkam und in ihr überanstrengtes Gesicht blickte, ging es ihm wie allen anderen: Er brachte es nicht fertig, sie unter Druck zu setzen.
»Ich habe Olivia im Sommer vorgeschlagen, daß wir doch eine kleine Wohnung ganz in der Nähe mieten könnten«, fuhr er nun fort, »dann könnte sie tagsüber, während ich arbeite, mit Dany hierher zu euren Eltern gehen. Ich hätte zwar immer noch den weiten Weg, aber wir hätten doch abends etwas mehr Zeit für uns.«
»Und darauf ist sie nicht eingegangen?« fragte Leona.
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nein. Es war überhaupt nicht mit ihr zu reden. Je schlimmer es mit Dany wird, desto heftiger krallt sie sich an eure Mutter. Sie ist der einzige Mensch, bei dem Olivia unbedingten Rückhalt findet. Ich glaube, sie hat inzwischen Angst, mit mir allein zu sein. Sie denkt, daß ich ihr so lange zusetzen werde, bis sie nachgibt und Dany in ein Heim bringt. Vermutlich
fühlt sie sich schon so kraftlos inzwischen, daß sie fürchtet, ihr Widerstand könnte erlahmen.«
Er kramte eine Zigarettenschachtel aus der Tasche, hielt sie Leona hin. »Ich weiß gar nicht mehr, ob du rauchst. Möchtest du?«
Sie hatte vor Jahren damit aufgehört, jedoch wieder begonnen, als Wolfgang sie verlassen hatte. Mit jedem ersten Zug, den sie tat, löste sich etwas von der Anspannung, in der sie seit zwei Wochen lebte. Psychisch tat ihr das Rauchen gut. Mit den Folgen für ihre körperliche Gesundheit würde sie sich auseinandersetzen, wenn sie seelisch wieder etwas stabiler wäre. Er gab ihr Feuer, und sie sah, daß seine Hand dabei ganz leise zitterte. Sie hätte gern irgend etwas Tröstendes gesagt, aber ihr fiel nichts ein, was überzeugend geklungen hätte. Sie betrachtete den gutaussehenden Mann mit dem intelligenten Gesicht. Ganz sicher hatte er Angebote von anderen Frauen. Wie lange würde er die Dinge, wie sie waren, ertragen und bei Olivia und Dany bleiben?
»Das schlimmste ist«, sagte er leise, »daß ich anfange, Dany zu hassen. Mein eigenes Kind, von dem ich doch weiß, daß es für seine Behinderung und all die Probleme überhaupt nichts kann. Aber manchmal kann ich kaum gegen dieses Gefühl von … Zorn an. Ich hasse die Art von Leben, zu der sie uns zwingt. Ihren dauernden Kampf gegen uns, als wären wir ihre schlimmsten Feinde. Vor allem das, was sie aus Olivia macht. Bereits aus ihr gemacht hat.«
Leona dachte an die junge Olivia zurück. Sie war die attraktivste der drei Schwestern gewesen. Nicht blond, wie die beiden anderen, sondern rothaarig. Grünäugig und grazil wie eine Katze. Selbstbewußt, klug, ehrgeizig und energisch. Eine Frau, der sich die meisten Türen von selbst zu öffnen schienen, auch wegen ihres Wesens, das jeden für sie einnahm.
Paul schien ebenfalls mit seinen Gedanken in die Vergangenheit geschweift zu sein, und die
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