Der Verehrer
– um dann noch geschlagene zwei Stunden im Auto vor dem Haus auf Nicole zu warten, die erst gegen zehn Uhr müde, aber aufreizend gut gelaunt, eintrudelte.
»Nicht einmal dein Handy hattest du eingeschaltet«, murrte er. »Ich habe immer wieder versucht, dich zu erreichen. «
»Also, auch wenn du mich erreicht hättest – ich hätte nichts für dich tun können. Ich kann doch nicht die Dreharbeiten abbrechen und nach Hause fahren, nur weil mein Lebensgefährte den Hausschlüssel vergessen und sich ausgesperrt hat.«
»Natürlich nicht! Dein Beruf geht vor, das ist ja klar! Vor allem am Sonntag! Da soll dein Lebensgefährte doch sehen, wo er bleibt!«
Sie betrachtete ihn kopfschüttelnd und ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank, spähte hinein.
»Haben wir irgend etwas zu essen?« rief sie. »Ich sterbe gleich vor Hunger!«
Er folgte ihr, plötzlich erschöpft und beschämt.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich wollte dich nicht anfahren. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist!«
Sie drehte sich um und betrachtete ihn prüfend.
»Du hast zum erstenmal seit fast drei Monaten deine Frau wiedergesehen« sagte sie, »das ist wahrscheinlich los!«
»Unsinn!«
»Meine Nachbarin hat einen Wohnungsschlüssel. Extra für solche Fälle. Du hättest ihn dir holen können.«
»Ich wußte das nicht.«
Sie schlug die Kühlschranktür zu und richtete sich auf.
»Was hat dich so aus der Fassung gebracht? Doch nicht die Tatsache, daß du dich ein paar Stunden außerhalb der Wohnung herumtreiben mußtest – auch wenn ich zugeben muß, daß das Wetter heute wirklich ungemütlich ist.«
Einen Moment lang überlegte er, ob er seine Gereiztheit tatsächlich darauf schieben sollte – auf sein langes Warten im schlechten Wetter. Nicole eignete sich kaum als Zuhörerin, was seine Sorgen um Leona betraf. Aber im Augenblick gab es niemanden sonst, bei dem er sich hätte aussprechen können.
»Leona hatte einen Mann bei sich«, sagte er.
Es hörte sich dramatisch und lächerlich an. Er bemerkte das ironische Lächeln, das sich auf Nicoles Züge stahl, und das machte ihn wütend.
»Ich bin nicht eifersüchtig, falls es das ist, was du denkst«, sagte er heftig. »Aber ich mache mir Sorgen. Mir gefiel dieser Mann nicht.«
»Kennst du ihn?«
»Nein. Und ich hatte den Eindruck, daß auch Leona ihn erst kürzlich kennengelernt hatte. Sie redeten einander mit ›Sie‹ an.«
»Vielleicht ist es jemand, mit dem sie einfach beruflich zu tun hat.«
»Nein!« Er schüttelte den Kopf. »Da war etwas … ich kann es nicht beschreiben, aber ich fühle es. Der Kerl ist scharf auf sie. Er gibt sich sehr höflich, sehr zurückhaltend, aber das ist Teil einer Strategie. Er will sie haben. Egal, auf welchem Weg und wie lange es dauert.«
Nicole sah ihn sehr eindringlich an. »Wolfgang, weißt du, daß du dich sehr eigenartig anhörst? Als hättest du den Eindruck, Leona würde von einem Unhold verfolgt, vor dem du sie retten mußt. Du steigerst dich da eindeutig in etwas hinein. Vielleicht will dieser Mann sie haben. Ja, und? Leona ist knapp über vierzig, sie sieht gut aus und ist neuerdings wieder Single. Was erwartest du? Daß alle Männer einen großen Bogen um sie machen, damit sie nur ja ihrem längst daheim ausgezogenen Noch – Ehemann nicht ins Gehege kommen? Und was erwartest du von ihr? Daß sie bis ans Ende aller Zeiten dort in eurem Haus sitzt und sich die Augen ausweint nach dir?«
»Ich will sie nur vor einem Fehler bewahren«, entgegnete er bockig.
Nicole wirkte sehr ernst. »Leona ist kein Kind. Sie ist eine erwachsene Frau, die sehr genau weiß, was sie tut. Sie kann sich einlassen, mit wem sie will und wie weit sie will. Du hast damit nichts mehr zu schaffen.«
»Dieser Typ …«
»… sieht wahrscheinlich ziemlich gut aus und hat echte Chancen bei deiner Frau, und genau das paßt dir nicht. Du hast geglaubt, du fährst an einem Sonntagnachmittag zu ihr, um deine Akten abzuholen, und findest sie einsam daheim beim Lektorieren eines Manuskripts vor oder im kahlen, herbstlichen Garten, wo sie mit ein paar Tränen in den Augen das Laub zusammenrecht. Statt dessen hat sie
einen Kerl bei sich und ist guter Dinge. Das hat dich natürlich ziemlich umgehauen, mein Lieber.«
»Das ist nicht wahr. Ich möchte doch, daß Leona wieder glücklich wird. Daß sie nicht allein bleibt.«
Nicole musterte ihn aus klugen Augen. »Wirklich? Möchtest du wirklich, daß sie wieder glücklich wird? Daß sie ohne dich wieder
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