Der Verehrer
um über Wolfgang hinwegzukommen, und da war er gerade recht. Ein paar nette Gespräche, ein lohnender »One-night-stand«. Jeder hat seinen Zweck für den anderen erfüllt.
Aber es stimmte nicht, und im Innern wußte sie das auch. Robert hatte ihr mehr bedeutet, viel mehr. Im nachhinein begriff sie auch, daß das von dem Augenblick an, da sie ihn zum erstenmal gesehen hatte, so gewesen war. Der Funke war übergesprungen zu einem Zeitpunkt, da sie noch nichts davon geahnt hatte.
Aber nun hing sie am Haken, ganz anders als in ihrer langjährigen Ehe mit Wolfgang natürlich, aber verletzbar und angreifbar wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie wehrte sich verbissen gegen die Gefühle, die Robert in ihr ausgelöst hatte – und hatte zugleich den beängstigenden Eindruck, daß sie darüber immer heftiger wurden.
Sie war mit William, dem Londoner Literaturagenten, seit Jahren befreundet. William hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie ihm gefiel, aber er hatte die Tatsache, daß sie mit Wolfgang verheiratet war, stets respektiert. Er konnte sein Erschrecken nicht verbergen, als er Leona sah.
»Du siehst aber wirklich schlecht aus, Leona«, sagte er, »ich darf dir das so offen sagen, oder? Du hast mindestens zehn Pfund abgenommen und bist richtig grau im Gesicht. «
Es tat Leona gut, sich aussprechen zu können. Sie kannte William lange genug, um offen reden zu können. Sie erzählte vom Desaster ihrer Ehe, von Evas Selbstmord, von der Affäre mit Robert.
»Ich komme mir wie eine Idiotin vor«, sagte sie. »Ich habe mir wirklich eingebildet, Robert sei verliebt in mich. Ich gehöre bestimmt nicht zu den Frauen, die das von jedem Mann glauben, der ihnen auch nur einen zweiten Blick zuwirft. Ich habe mich in dieser Hinsicht eigentlich immer als recht realistisch eingeschätzt.«
William überlegte einen Moment. »Du befindest dich in einer Ausnahmesituation, Leona. Die Trennung von deinem Mann macht dir schwer zu schaffen, was nur zu verständlich ist. Du suchst nach einem Rettungsanker. Das ist keine Schwäche, das würde jeder in deiner Lage tun. Bei dieser krampfhaften Suche nach einem Strohhalm verlierst du deinen klaren Blick. Vielleicht hast du bestimmte Signale von diesem Robert falsch interpretiert.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich mich so täusche«, sagte Leona. »Ich bin doch keine siebzehn mehr! Es ging etwas von ihm aus … ach, es war einfach alles so intensiv zwischen uns!«
»Du hältst es für ausgeschlossen, daß ihm irgend etwas passiert ist, oder?« fragte William nachdenklich. »Ich meine, vielleicht kann er sich nicht melden!«
»Von einem Zugunglück hätte man doch gehört! Ich habe trotzdem bei der Bahn angerufen, aber auf der ganzen Strecke ist seit endlosen Zeiten schon nichts mehr passiert. Wie sollte ihm da etwas zugestoßen sein?«
»Vielleicht erst in Ascona?«
»Zwischen Bahnhof und Wohnung? Ich kann mir das nicht vorstellen!«
»Gibt es irgendwelche Verwandte, Bekannte von ihm, die du anrufen könntest?«
Leona schüttelte den Kopf. »Seine letzte noch lebende Verwandte war seine Schwester, und die ist nun auch tot. Und sonst kenne ich niemanden. Weder Bekannte noch Freunde, noch Arbeitskollegen, keine Verlage, für die er arbeitet … nichts. Ich habe ja noch nicht einmal seine Adresse in Ascona!«
»Du weißt sehr wenig von dem Mann, in den du dich so heftig verliebt hast«, meinte William.
»Ich weiß, das muß alles eigenartig klingen. Aber du mußt die Umstände bedenken. Wir wohnen ja Hunderte von Kilometern voneinander entfernt. Normalerweise wären wir einander nie begegnet. Wir haben uns bei Evas Beerdigung gesehen, beim Ausräumen ihrer Wohnung , und dann wieder, als er für zehn Tage in Frankfurt war. Wie sollte ich viel von ihm wissen? Es ist ja nicht so, daß wir in derselben Stadt leben, uns jeden Tag sehen und miteinander plaudern können!«
»Ihr konntet aber immerhin zusammen ins Bett gehen«, sagte William, und er klang ein wenig vorwurfsvoll und ein wenig verletzt.
Leona sah ihn an. »Ach, William …«
Er hob beide Hände. »Schon gut. Ich will weiß Gott nicht deine Gouvernante spielen, Leona. Laß uns doch mal überlegen: Gibt es wirklich überhaupt keinen Menschen, den du kennst und der auch ihn kennt?«
»Nein. Das heißt …« Leona dachte nach. »Vielleicht doch. Lydia. Sie kennt ihn.«
»Lydia?«
»Ich habe es ja neulich noch zu Wolfgang gesagt. Daß ich Robert über Lydia kennengelernt habe. In gewisser Weise zumindest. Lydia
Weitere Kostenlose Bücher