Der Verehrer
hungrig und durstig plötzlich, und gingen hinunter in die Küche, wo Leona Rühreier briet und Robert eine Flasche Prosecco öffnete. Es war fast zwei Uhr in der Nacht, und jenseits des Küchenfensters glitten pudrige Schneeflocken zur Erde. Leona zündete alle vier Kerzen des Adventskranzes an, obwohl das natürlich viel zu früh war. In der Küche war es warm, und es roch nach Kerzenwachs und nach getrocknetem Thymian, der, zu kleinen Büscheln gebunden, über dem Herd hing.
»Du hast es wirklich schön hier«, sagte Robert und sah sich um, »ein entzückendes Haus. Es paßt so gut zu dir.«
Er saß ihr mit nacktem Oberkörper gegenüber. Sie konnte den Blick nicht abwenden von seinen Schultern, von seinen Armen. Sein Körper war wesentlich muskulöser als der von Wolfgang, und er war der weit bessere Liebhaber. Leona hätte nicht definieren können, worin genau seine besondere Qualität bestand, aber Tatsache war, daß sie nie zuvor gewußt hatte, wie sich sexuelle Gier anfühlte. Jetzt wußte sie es. Sie hätte auf der Stelle schon wieder mit ihm ins Bett gehen können.
»Wenn dir das Haus so gut gefällt, warum wohnst du dann nicht hier?« fragte sie. »Wenigstens für eine Weile.«
»Weil ich in Ascona wohne, Leona. Weil …«
»Dort ist es jetzt bestimmt auch nicht allzu gemütlich.«
»Nein«, gab er zu, »um Weihnachten kann es ziemlich naßkalt sein.«
»Weihnachten …«, sagte sie, und als sie stockte, vollendete er den Satz: »… sollten wir zusammen verbringen.«
»Ich muß bis zum dreiundzwanzigsten arbeiten«, sagte Leona.
»Du könntest am vierundzwanzigsten nach Ascona kommen.«
Über den Tisch hinweg griff sie nach seiner Hand.
»Kannst du das aushalten?« flüsterte sie. »Das wären zweiundzwanzig Tage, bis wir uns wiedersehen.«
Er fiel in ihr Flüstern ein. »Nur noch einundzwanzig! Inzwischen ist der Dritte. Aber es ist trotzdem unmenschlich. «
Sie sah ihn an. Sie wollte ihre Bitte, er solle vorübergehend bei ihr einziehen, nicht wiederholen. Er sollte nicht wissen, wieviel für sie von seiner Entscheidung abhing.
»Ich fahre nach Ascona«, sagte er, »ich hole meine Sachen, sehe meine Post durch und komme dann zurück. Einverstanden?«
»Okay«, antwortete sie leichthin.
Er musterte sie nachdenklich.
»Weißt du«, sagte er, »du hast mir, ehrlich gesagt, mit deinen langen Haaren besser gefallen. Warum nur hast du sie abschneiden lassen?«
Unsicher fuhr sie sich mit allen zehn Fingern über ihre Stoppeln.
»Es mußte einfach sein. Ich … es hing so vieles an diesen langen Haaren. So vieles, was ich loswerden mußte.«
»Ich verstehe das«, sagte er sanft.
Das war das verführerischste an ihm, mehr noch als sein schöner Körper und seine einfühlsame Sexualität: sein unaufdringliches, liebenswürdiges Verständnis, das ohne lange, komplizierte Erklärungen auskam.
»Haare wachsen ja wieder«, meinte Leona.
Er reiste ab, und sie hörte fast drei Wochen lang nichts von ihm. Zuerst dachte sie, er werde sie anrufen, wenn er in Ascona angekommen wäre, aber einen endlosen, dunklen Abend lang blieb das Telefon still. Auch am zweiten Abend. Am dritten Abend hielt es Leona nicht mehr aus und rief unter der Nummer an, die er ihr hinterlassen
hatte. Sie hörte seine Stimme vom Anrufbeantworter: »Bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht …«
Sie legte den Hörer wortlos auf, zu verärgert, um ihm auch noch einen Beweis zu liefern, daß sie hinter ihm hertelefoniert hatte. Aber als er sich zwei Abende später noch immer nicht gemeldet hatte, sprach sie dann doch auf das Band, dessen unvermeidliche, immer gleiche Ansage sie bereits entsetzlich nervte.
»Hallo, hier ist Leona!« Sie bemühte sich, ihre Stimme kühl und geschäftig klingen zu lassen. »Bist du immer noch nicht angekommen? Melde dich doch bitte kurz, sonst muß ich noch annehmen, es ist etwas passiert!«
Auch darauf kam keinerlei Lebenszeichen.
Am fünfzehnten Dezember mußte Leona für zwei Tage nach London fliegen, um dort einen englischen Literaturagenten wegen verschiedener Lizenzen zu treffen. Robert war jetzt bald zwei Wochen fort, ohne sich gemeldet zu haben, und sie versuchte sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß sie ihn nie wiedersehen würde. Sie war eine Episode für ihn gewesen, ein flüchtiges Abenteuer, ein Zeitvertreib für den tristen Aufenthalt im novembergrauen Frankfurt. Nun ja, etwas anderes war er für mich auch nicht, versuchte sie sich einzureden, ich brauchte jemanden,
Weitere Kostenlose Bücher