Der Verehrer
war die Nachbarin von Roberts Schwester. Sie kennt ihn von seinen Besuchen bei Eva.«
»Dann wäre sie ein Anhaltspunkt für dich. Vielleicht kannst du über sie etwas in Erfahrung bringen. Allerdings«, William seufzte, »wenn du wissen willst, was ich wirklich denke: Vergiß diesen Robert! Hake ihn ab! Nimm dir drei Wochen Urlaub und komm über Weihnachten und die erste Januarhälfte zu mir nach England. Ich lade dich in mein Cottage ein. Lange Spaziergänge am Meer und Gespräche mit einem Menschen, der dich kennt und sehr mag und eine Engelsgeduld hat, sind genau das, was du brauchst!«
Leona kannte das Cottage, ein zauberhaftes Haus in Devon, nahe am Meer gelegen. Es müßte Spaß machen, die kleinen Zimmer mit den niedrigen, dicken Deckenbalken weihnachtlich zu schmücken und die Festtage dort mit William und seinen zwei großen Hunden zu verbringen.
»Ich werde mir das überlegen«, versprach sie.
William lächelte resigniert. Er war absolut sicher, daß sie nicht kommen würde.
Als sie wieder daheim war, rief sie Lydia an – nachdem sie monatelang auf deren Botschaften auf dem Anrufbeantworter nicht reagiert und Essenseinladungen, die sie dann und wann direkt erreichten, immer unter dem Vorwand des Zeitmangels abgewimmelt hatte. Wie zu erwarten gewesen war, gab sich Lydia ziemlich verschnupft und war zunächst sehr kurz angebunden, aber letzten Endes war sie zu scharf auf den Kontakt zu Leona, als daß sie ihre abweisende Haltung hätte durchstehen können. Nach zehn Minuten taute sie auf und plauderte schon wieder munter drauflos.
»Sie müssen jetzt wirklich einmal zum Abendessen zu mir kommen, Leona«, verlangte sie. »Ich bin böse, wenn Sie sich wieder herausreden.«
Sie verabredeten sich für Freitag abend. Es war der neunzehnte Dezember, und seit dem Nachmittag schneite es. Als sich Leona abends auf den Weg machte, blieb der Schnee bereits liegen, verlieh dem Stadtviertel den ersten Anstrich von Zuckerbäckermärchen. Er verschluckte die Schritte auf dem Asphalt, dämpfte alle Geräusche. Unter anderen Umständen, in einer anderen Situation hätte Leona die Atmosphäre geliebt.
Lydia hatte ihre kleine Wohnung geschmückt wie einen Weihnachtsmarkt, es gab fast keinen Fleck mehr, an dem nicht eine Kerze oder ein Tannenzweig , ein Engel oder eine Krippenfigur standen. An den Fenstern klebten Sterne aus Stroh und Buntpapier. Vom Plattenspieler dudelten Weihnachtslieder.
Leona fühlte sich ein wenig schuldbewußt, als sie merkte, wieviel Mühe sich Lydia mit dem Essen gemacht hatte; sie mußte fast den ganzen Tag in der Küche gestanden haben. Sie war außer sich vor Freude, weil Leona sie endlich besuchte. Erneut erkannte Leona, wie einsam
diese Frau war, wie tragisch Evas Selbstmord für sie gewesen sein mußte. Leona war vor allem gekommen, um etwas über Robert zu erfahren, und nun schämte sie sich dieser Absicht so sehr, daß sie zunächst überhaupt nicht wußte, wie sie davon anfangen sollte.
Glücklicherweise kam Lydia von selbst darauf zu sprechen. Beim dritten Gang – Zanderfilet auf Linsengemüse mit Kartoffeln – kicherte sie plötzlich und neigte sich vertraulich über den Tisch.
»Hat sich eigentlich Robert Jablonski mal bei Ihnen gemeldet? Er hat mich doch gefragt, ob Sie verheiratet sind. Und er wollte Ihre Telefonnummer haben!«
Von der Telefonnummer hat er gar nichts gesagt, dachte Leona. Laut sagte sie:
»Ich habe ihn im November mal getroffen. An Evas Grab.«
»An Evas Grab? Er war hier in Frankfurt?«
»Für zehn Tage ungefähr.«
»Hm.« Lydias Augen verrieten, daß es sie kränkte, nichts davon gewußt zu haben. »Bei mir hat er sich überhaupt nicht blicken lassen. Dabei war ich die beste Freundin seiner Schwester!«
Zu Leonas Leidwesen schwenkte sie in ihrer Verletztheit schon wieder weg von Robert.
»Und Bernhard Fabiani? Der wollte auch Ihre Telefonnummer! «
»Der hat angerufen, ist aber nur ans Band geraten. Ich habe ihn nicht zurückgerufen.«
»Das tun Sie nie«, stellte Lydia, aus eigener Erfahrung schöpfend, bekümmert fest. Dann nahm ihr Gesicht einen verächtlichen Ausdruck an. »Er wollte mit Sicherheit mit Ihnen anbändeln. Das ist wie eine Krankheit bei ihm. Ich glaube, wenn ihm irgendeine Frau entgeht, dann empfindet
er das als persönliche Niederlage. Ich habe ihn ja ganz rigoros abblitzen lassen.«
»Bei Ihnen hat er es auch versucht?« fragte Leona überrascht.
»Natürlich. Aber Eva war meine Freundin, verstehen Sie? Für mich kam ein
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