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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gehabt, übergangen konnte sie nun nicht mehr werden. Aber Kommissar Hülsch würde Frederica natürlich ganz anders befragen, ihr vielleicht doch noch die eine oder andere Erinnerung entlocken.
    Immerhin konnte manches interessant sein für die Polizei: Anna hatte, im Winter vor ihrem Tod, Ferien in Südspanien gemacht. Sie war nervös und verängstigt gewesen und hatte gegenüber einer Urlaubsbekanntschaft unrichtige Angaben über Wohnort und Lebensumstände gemacht. Das mochte die Theorie stützen, die Hülsch einmal in Erwägung gezogen hatte: daß Annas Tod mit einem Ereignis oder einem Menschen aus ihrer Vergangenheit zu tun gehabt hatte. Daß sie im Sommer des letzten Jahres nicht zufällig einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen war, sondern daß schon vorher irgend etwas passiert war; etwas, das sie über einen längeren Zeitraum hinweg hatte in Gefahr schweben lassen.

    Sie würde ihn gleich am Montag anrufen, beschloß sie. Frederica würde sie verfluchen, aber das konnte ihr egal sein.
    Nun mußte sie sehen, daß sie rasch nach Hause kam, damit die Nachbarin sich in ihren Feierabend stürzen konnte.
    14
    Unter blauem Himmel und ungetrübter Sonne lag der Lago Maggiore vor ihnen, tief und leuchtend in seiner Farbe, unberührt noch von Seglern und Surfern. Im Sommer würden die Wassersportler seine glatte Oberfläche durchpflügen und sich wie ungezählte bunte Tupfen auf ihm bewegen. Noch durfte er still vor sich hin träumen und seine Wellen sacht und leise ans Ufer schwappen lassen. Hell glänzend erhoben sich ringsum die Berge, deren Gipfel noch mit Schnee bedeckt waren. Es war warm in der Sonne. An den Piazzas rund um den See hatten die Café-besitzer Stühle und Tische nach draußen gestellt und die Markisen heruntergekurbelt. Reges Leben und Treiben herrschte in den Straßen von Locarno. Die Menschen schlenderten am See entlang, schleckten Eis, kauften Ramsch bei den Straßenhändlern. Die Forsythien blühten in sattem Gelb, dazwischen glühte das kräftige Rosa der Magnolien, wiegten sich schneeweiße Kirschblütenzweige im leisen Wind. Aus dem noch kahlen, grauen Deutschland kommend, erschien Leona das blühende Tal jenseits der Alpen wie ein wundersames Paradies, eine andere, leichtere, heitere Welt. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schloß für Sekunden behaglich die Augen, genoß die warme Sonne auf ihrem winterblassen Gesicht.
    »Wie schön es hier ist«, murmelte sie.

    Sie saßen in einem Café gleich am See, stärkten sich mit Kaffee und Kuchen, hatten ihre Jacken ausgezogen und die Pulloverärmel hochgeschoben. In aller Herrgottsfrühe waren sie am Morgen in Leonas Auto von Frankfurt aufgebrochen, hatten um halb fünf am Nachmittag Locarno erreicht und beschlossen, dort eine Kleinigkeit zu essen, ehe sie nach Ascona zu Roberts Wohnung weiterfuhren.
    Leona hatte die ganze Zeit am Steuer gesessen, aber zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sie sich nicht erschöpft. Im Gegenteil: Die herrliche Landschaft, die Sonne, die bunten Farben belebten sie, ließen ein Kribbeln durch ihren Körper laufen, elektrisierend, kraftvoll.
    Was Sonne und Süden ausmachen können, dachte sie, wie ganz anders man sich sofort fühlt!
    Streß und Scheidungsfrust verblaßten. Sie fanden irgendwo anders statt, in einem Leben, das Leona für zehn Tage gründlich vergessen wollte.
    Robert, der ihr gegenüber saß, lächelte. Auch er wirkte entspannter und ausgeglichener, seitdem sie hier waren.
    »Es freut mich, daß es dir gefällt«, sagte er.
    »Gefällt? Ich bin begeistert. Es war eine wunderbare Idee von dir hierherzufahren. Plötzlich merke ich, wie urlaubsbedürftig ich war.«
    »Deine Haare glänzen in der Sonne. Das sieht schön aus«, sagte er.
    »Hoffentlich gefallen sie dir inzwischen schon wieder besser.«
    »Natürlich. Und am allerbesten werden sie mir gefallen, wenn sie wieder so lang sind wie am Anfang. Wenn du wieder aussiehst wie Rapunzel.«
    Sie lachte. »Vorsicht! Rapunzel hat an ihren langen Haaren einen fremden Mann zu sich in den Turm klettern lassen. Auf die Idee könnte ich auch kommen.«

    Er erwiderte ihr Lachen. Er sah fröhlich und unbekümmert aus.
    »Dann bringe ich dich um«, sagte er sanft.
    Eine Möwe schrie über dem See. Zwei Kinder stritten lautstark um einen Ball. Ein Hund tobte bellend am Ufer entlang, strotzend vor Kraft und Lebensfreude. Fröstelnd schob Leona ihre Pulloverärmel wieder nach unten.
    »Es wird kühler«, sagte sie, »laß uns

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