Der Verehrer
zog ihn ihrer Tochter an. Sie wirkte in sich gekehrt, abwesend.
»Olivia, ich will mich nicht einmischen, aber ich mache mir Sorgen«, sagte Leona. »Ich kenne Paul schon so lange, und in der einen Woche, die er jetzt bei mir lebt, habe ich ihn noch besser kennengelernt. Er ist ein Mann, den du nicht einfach gehen lassen darfst. Er liebt dich, aber er ist verzweifelt, und irgendwann wird er sich vielleicht für ein anderes Leben, ein Leben ohne dich entscheiden.«
»Das tun sie alle früher oder später«, sagte Olivia, »du mußt doch nur dich anschauen.«
Leona zuckte zusammen. Mit mühsamer Beherrschung entgegnete sie: »Ja, man muß mich nur anschauen. Ganz sicher habe ich eine Reihe von Fehlern gemacht. Im Unterschied zu dir hatte ich aber keine Chance, etwas zu verändern. Bis zu dem Tag , an dem er mir eröffnete, er habe eine Geliebte, hat Wolfgang mich in dem Glauben gelassen, es sei alles in Ordnung. Das tut Paul nicht. Du weißt ganz genau, woran du bist.«
»Das nützt mir nichts.«
»Himmel, Olivia, reiß dich doch zusammen! Du hast einen großartigen Mann, und tust alles, ihn zu vergraulen! Er betrügt dich nicht. Er trinkt nicht. Er hat einen sicheren Beruf und verdient genug, um dir ein schönes Leben zu ermöglichen. Er ist verständnisvoll, intelligent und mitfühlend. Du hast mit ihm einen Hauptgewinn gezogen, Olivia, und ich glaube, du merkst es nicht einmal!«
»Dany muß jetzt ihren Mittagsschlaf halten«, sagte Olivia.
Dany krabbelte ins Bett, ließ sich zudecken. Olivia zog die mit Teddybären und Schaukelpferden bedruckten Vorhänge vor den Fenstern zu.
»Eine Stunde, Dany, okay? Mami kommt dich dann wecken.«
Die beiden Frauen verließen das Zimmer. Draußen auf dem Gang wurde Leona bewußt, daß sie noch immer den Korb mit der Katze darin herumschleppte. Sie stellte ihn ab und befreite Linda aus ihrem Gefängnis. Mit steil aufgerichtetem Schwanz schoß sie sofort davon.
»Bleibt sie hier?« fragte Olivia.
»Ja. Du weißt doch, Dolly hat irgendwo Gift erwischt, und nun fürchte ich …«
»Ich verstehe«, sagte Olivia. Ihr Blick folgte der Katze, die gerade die Treppe hinunter verschwand. »Hier ist sie sicher, da hast du recht. Hier wird ihr nichts geschehen.«
Leona nahm vorsichtig die Hand ihrer Schwester. »Die Welt da draußen«, sagte sie behutsam, »ist nicht so gefährlich, wie du denkst. Für Dany nicht, und für dich auch nicht.«
Sie sah das Rinderauge vor sich und die sterbende Dolly.
Ein Klischee, dachte sie. Die Welt ist gefährlich. Sie ist lebensgefährlich, jeden Tag für jeden von uns von neuem.
Olivias Hand zitterte in ihrer.
»Das ist nicht wahr«, sagte sie leise.
»Du hast recht, es ist nicht wahr«, gab Leona zu, »die Welt ist gefährlich. Aber indem du vor ihr wegläufst und auch Dany vor ihr abschirmst, bringst du euch beide nur scheinbar in Sicherheit. Du denkst, du kannst Dany beschützen vor allen Gefahren. Das geht nicht. Die Gefahren werden auch Dany einholen, und du sorgst dafür, daß sie ihnen dann nicht gewachsen ist. Du machst sie schwach, unselbständig, zu einem völlig hilflosen Wesen. Und darin liegt die eigentliche Gefahr, Olivia.«
Olivia wandte sich ab. »Das Leben, das Paul führen will, kann ich nicht führen.«
»Was verlangt er denn schon? Er will doch nur …«
»Daß ich mein Kind hergebe. Ich soll Dany abschieben wie irgendeinen Gegenstand, der lästig geworden ist. Das kann ich nicht. Ich würde sterben daran. Und wenn es bedeutet, daß ich mein eigenes Leben verpfusche, so werde ich doch zu jeder Sekunde für Dany dasein. Das ist das mindeste. Der mindeste Ausgleich für das, was ich ihr angetan habe.«
In ihrem schönen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem fein gezeichneten Mund standen Verzweiflung und Resignation. In die Verzweiflung mischten sich noch Aufbegehren und Zorn. Die Resignation war jedoch bereits drauf und dran, sich wie ein Krebsgeschwür in ihr auszubreiten und alles Leben zu ersticken.
Paul legte den Pinsel zur Seite und betrachtete sein Werk. Die hölzernen Küchenschränke strahlten in einem frischen Blau. Leona hatte die Farbe einige Tage zuvor aus dem Keller geholt und verkündet, sie werde irgendwann in den nächsten Wochen die Schränke damit verschönern.
»Wolfgang und ich wollten das während unseres Urlaubs im letzten September machen. Aber dann zog er aus, und alles blieb liegen. Und ich kann diesen abgeblätterten Lack nicht mehr sehen.«
Als sie ihm gesagt hatte, sie werde die
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