Der Verehrer
Katze zu ihren Eltern bringen und dort gleich über das Wochenende bleiben, war sofort der Gedanke in ihm erwacht, sie bei ihrer Rückkehr mit der fertigen Arbeit zu überraschen. Die ganze Zeit schon hatte er überlegt, wie er etwas Nützliches tun könnte, etwas, das sie wirklich freute oder entlastete. Es war großzügig gewesen, ihn hier in ihrem Haus aufzunehmen, ihm die Nüchternheit und Unpersönlichkeit eines Hotelzimmers zu ersparen. Er hatte Hotels nie gemocht; in seiner derzeitigen Situation hätte er sie nicht einmal ertragen.
Immerhin, dachte er, während er die Pinsel über der Spüle sorgfältig mit Terpentin reinigte, war dadurch jemand hier, als sie dieses scheußliche Auge in ihrer Dusche fand. Kein Wunder, daß sie die Nerven verloren hat.
Nach wie vor hielt Paul die Angelegenheit für einen geschmacklosen Scherz. Inzwischen war er zu der Auffassung gelangt, daß Leona recht hatte mit ihrer Vermutung, bei dem Eindringling handele es sich um den ominösen Robert. Er kam mit dem Ende der Beziehung nicht zurecht und konnte es nicht lassen, seine Expartnerin auf makabere Weise zu erschrecken. Aber während Leona in ihm einen Kriminellen, eine wirkliche Gefahr witterte, hielt Paul ihn lediglich für einen harmlosen Spinner, der
irgendwie versuchte, mit seiner verletzten Eitelkeit fertig zu werden.
Kriminell würde ich nicht nennen, was er tut, überlegte Paul, aber gleich darauf kam ihm der Gedanke, ob es nicht doch als kriminell zu bezeichnen war, wenn sich jemand heimlich einen Nachschlüssel zu einem Haus machen ließ und später darin herumgeisterte, obwohl er dort längst nichts mehr zu suchen hatte. Müßig. Die Schlösser waren ausgetauscht. Das Phantom Robert würde wieder in jenem Nichts verschwinden, aus dem es gekommen war.
Paul wusch sich die Hände, trat durch die weit offene Küchentür in den Garten, atmete tief durch. Auch Biofarbe stank, auch sie verursachte Kopfschmerzen, jedenfalls bei ihm. Die frische Luft tat gut. Der Tag war heiß gewesen, aber der Abend brachte Kühle und Frische. Wie würzig und feucht Gras und Erde rochen! Ein Magnolienzweig streifte seine Wange.
Das Leben konnte so schön sein. Wenn man es nur ließ. Schon lange hatte er den Frühling nicht mehr so intensiv gespürt, erwachenden Lebenshunger, neue Lebenslust. Die Hoffnungslosigkeit, die so viele Jahre lang auf ihm gelastet hatte, schien schwächer zu werden. Darunter blitzte eine Freude hervor, deren Vorhandensein er lange nicht mehr bemerkt hatte. Eine Freude an allen möglichen Kleinigkeiten des Lebens, eine Vorfreude zudem auf das, was sein würde. Er freute sich auf den Sommer, auf Erdbeeren, Rosen, zirpende Grillen, auf Wiesen voller Blumen und auf das Gefühl sonnenwarmer Steine unter nackten Füßen.
Nachdem allzu viele Jahre lang alles nur grau um ihn herum gewesen war, stellten diese vielen kleinen Anzeichen von immer noch vorhandenem Glücksempfinden eine frappierende Erkenntnis für ihn dar: Er war innerlich
noch nicht tot. Er war ein Mann in den besten Jahren. In ihm schlummerten noch immer Kraft, Energie, Hoffnung und eine unerwartet große Portion Entschlossenheit.
Er ging in die Küche zurück, ließ die Tür zum Garten offen. Der aufkommende Abendwind würde, so hoffte er, den Farbgeruch mildern und die gestrichenen Flächen rasch trocknen lassen. Voller Stolz betrachtete er sein Werk. Leona konnte zufrieden mit ihm sein.
Er schaltete den Backofen ein, nahm eine Pizza aus dem Tiefkühlfach des Eisschrankes, verzichtete auf die empfohlene Auftauzeit und schob sie gleich in den Herd.
Er ging ins Eßzimmer, machte sich einen Martini, setzte sich damit vor den Kamin. Die Stille um ihn herum tat ihm gut. Der Begriff Stille war auch zum Fremdwort geworden, wie so vieles in den letzten Jahren. Da draußen in der gnadenlosen Familienidylle gab es keine Stille. Dafür wuselten viel zu viele Menschen auf zu engem Raum herum. Wenn er sich dort mit einem Drink irgendwo hinsetzte, tauchte sofort jemand auf, der ihm Gesellschaft leisten wollte. Manchmal hätte er brüllen mögen.
Und jetzt, sagte er sich, fühlst du dich besser. Und seit wann? Seit einer Woche, seit du von der Frau getrennt lebst, die du liebst.
Ausgerechnet ihm mußte das passieren. Ihm, der er immer den Kopf geschüttelt hatte, wenn andere Menschen um ihn herum, Freunde oder Kollegen, ihre Beziehungen zum Lebenspartner nicht in den Griff bekamen.
»Ich verstehe das ganze Hin und Her nicht«, pflegte er zu sagen, »da gibt es
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