Der Verehrer
merklich kleiner werden. Die nächtlichen Gespenster hatten sich verzogen.
Im übrigen folgte ihr tatsächlich niemand. Schon bald
konnte sie da ganz sicher sein, denn schließlich war sie ganz allein auf der sonnigen Landstraße. Niemand hielt sich hinter oder vor ihr auf.
In Lauberg war alles wie immer. Elisabeth stand im Garten und hängte zum ersten Mal in diesem Jahr die Wäsche im Freien auf.
»Wie schön, daß du da bist, Leona«, sagte sie, nachdem sie ihre Tochter umarmt hatte. Sie musterte sie aufmerksam. »Du siehst aus, als ob du nicht genug schläfst«, stellte sie fest.
»Ach, mach dir nicht immer so viele Gedanken, Mami. Ich bin schon in Ordnung.«
»Hast du mal wieder von Wolfgang gehört?«
Sie hatte das alles für sich behalten wollen, aber plötzlich fand sie, sie könne ein paar Sorgen ihrer Mutter zerstreuen.
»Er hat sich von seiner Freundin getrennt. Er würde sich gern wieder mit mir versöhnen.«
»Wirklich?« Elisabeths Miene erhellte sich sofort. »Und wie stehst du dazu?«
»Ich brauche Zeit. Ich muß erst einmal wieder zu mir selbst kommen.«
»Natürlich, Kind. Wolfgang muß auch nicht denken, du springst, wenn er pfeift«, sagte Elisabeth, und das war für sie eine so eigenartige Bemerkung, daß Leona auflachte. Den Katzenkorb in der einen, ihre Reisetasche in der anderen Hand, ging sie zum Haus. Ben lag auf der Veranda in der Hängematte; er trug nichts als eine Badehose, und neben ihm stand sein Sohn Felix und ließ Spielzeugautos mit lautem Gebrumm auf dem nackten Bauch des Vaters kreisen. Ben hob die Hand zu einem lässigen Gruß.
»Tag, Leona. Ist das nicht ein herrliches Wetter heute?«
Für gewöhnlich hatte Leona mit Aggression zu kämpfen,
wenn sie Ben in seiner ganzen unbekümmerten, schmarotzenden Faulheit sah, aber diesmal empfand sie seinen Anblick eher als rührend. Es ging eine unendliche Friedfertigkeit von ihm aus, wie er so dalag und sich von seinem Kind malträtieren ließ. Ben war ein Nichtsnutz, aber er war ein guter Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tat. Sollte Carolin eines Tages genug von ihm haben und ihn vor die Tür setzen, dann würde er weder ihre Tiere vergiften noch gräßliche Dinge in ihr Badezimmer schmuggeln, um sie einzuschüchtern. Er würde seine wenigen Habseligkeiten zusammenpacken und losziehen, um eine andere Frau zu finden, bei der er sich für eine Weile durchschnorren konnte, und wahrscheinlich würde kein einziges böses Wort fallen.
»Hallo, Ben«, erwiderte sie seinen Gruß, »das Wetter ist wirklich toll. Ist Carolin da?«
Er schüttelte träge den Kopf. »Die ist in Bonn. Bei ’ner Demo.«
»Ach so. Wofür oder wogegen demonstriert sie?«
»Keine Ahnung. Das weiß sie wahrscheinlich selber nicht. Wenn sie hört, irgendwo ist ’ne Demo, dann muß sie hin. Ich verstehe zwar nicht, wie man sich so viel Streß machen kann – aber bitte! Ist ihr Leben.«
Felix ließ einen Hubschrauber im Bauchnabel seines Vaters landen und fabrizierte höllische Motorengeräusche dazu. Leona lächelte den beiden noch einmal zu, dann trat sie ins Haus. Aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters vernahm sie gedämpft klassische Musik. Beethoven. Julius legte sich gern mittags hin und hörte Musik. Das war eine Art heilige Stunde für ihn.
Leona bemühte sich, leise zu sein, als sie die Treppe hinaufging. Oben traf sie Olivia, die gerade mit Dany aus dem Bad kam. Dany war in ein riesiges Handtuch eingehüllt,
hatte nasse Haare, roch nach Kamillenseife und schien überraschend friedlich. Sie strahlte über das ganze Gesicht und gab zufriedene Brummlaute von sich.
»Ach, Leona«, sagte Olivia zerstreut, »läßt du dich auch mal wieder blicken?«
»Ich soll dich von Paul grüßen«, sagte Leona.
»Danke«, erwiderte Olivia nur.
Leona fragte sich, ob ihre Schwester wirklich so gleichgültig war oder ob sie ihre wahren Gefühle mit Desinteresse tarnte. Sie folgte ihr in Danys Zimmer.
»Willst du nicht wissen, wie es ihm geht?«
»Wie geht es ihm?« fragte Olivia, und Leona unterdrückte einen Seufzer.
»Er ist soweit in Ordnung. Aber er macht sich eine Menge Gedanken.«
»Die mache ich mir auch.«
Olivia tupfte Dany sorgfältig mit dem Handtuch trocken. Dany griff in die Haare ihrer Mutter und zog ruckartig daran, ließ dann jedoch sogleich wieder von diesem Spiel ab und brummte erneut vor sich hin. Wahrscheinlich versuchte sie ein Lied zu singen. Sie hatte offenbar einen selten guten Tag. Olivia nahm einen Schlafanzug aus dem Schrank und
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