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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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den hinteren Garten gehuscht sein. Er tauchte aus dem Dunkel auf wie ein Schatten und schlug auf Pauls Hand, die dieser ausgestreckt hatte, um das Licht anzuknipsen. Der Schmerz war überraschend heftig, und Paul brüllte auf. Er kam nicht dazu, sich zu wehren, sich zu orientieren, überhaupt richtig zu begreifen, was mit ihm geschah. Der Schmerz in seiner Hand schoß in Wellen den Arm hinauf und machte ihn unfähig, sich zu rühren. Der Schatten verkrallte sich in ihn, ohne zu zögern, riß ihn zu Boden, trat nach ihm, boxte, schlug mit der geballten Faust, wohin er auch traf, in die Rippen, auf den Brustkorb, in den Unterleib, gegen den Hals, daß ihm die Luft wegblieb, ins Gesicht, und irgend etwas splitterte, die Nase vielleicht oder der Kieferknochen.
    Irgendwann – es mochten Sekunden oder auch eine Minute vergangen sein – konnte Paul wieder denken, und in jähem Schrecken wurde ihm klar, daß der Schatten ihn nicht einfach niederschlagen und liegenlassen wollte.

    Er wollte ihn töten.
    Er konnte in der Dunkelheit nichts als die Umrisse von ihm erkennen. Er hörte nur sein Keuchen, sein wütendes, angestrengtes Atmen, das wie das Fauchen eines aufs äußerste gereizten Tieres klang. Ein Mann, natürlich handelte es sich um einen Mann; keine Frau hätte mit solch gnadenloser Kraft zuschlagen können. Er hatte Fäuste wie Eisen, und er setzte sie mit menschenverachtender Rücksichtslosigkeit ein. Paul wollte etwas sagen oder schreien, aber nur ein gurgelnder Laut drang aus seinem Mund. Blut füllte seinen Rachen, stieg nach oben, strömte zwischen seinen Lippen hervor. Jeden Moment, das spürte er, würde er das Bewußtsein verlieren. Bis zu diesem Augenblick hatte er noch nicht eine Bewegung der Abwehr gemacht, geschweige denn seinem Gegner auch nur einen Kratzer zugefügt. Er lag auf der Erde wie ein gestrandeter Fisch und ließ sich totschlagen, und er vermochte nicht einmal einen Finger zu seiner Verteidigung zu rühren.
    Die Bewegungen des anderen wurden langsamer und schwächer, seine Kräfte ließen nach, aber auch dieser Umstand bedeutete keine Chance mehr für Paul. Ihm schwanden die Sinne, er dachte – eher erstaunt als entsetzt: So ist es also, wenn man stirbt …
    Der andere richtete sich auf, keuchend wie nach einem Tausendmetersprint, er angelte nach etwas, das seitlich neben ihm lag, hob den Arm und ließ den Gegenstand, den er ergriffen hatte, auf Pauls Kopf niedersausen. Paul gab noch einen Laut von sich, ein leises Seufzen, dann verlor er das Bewußtsein.

    6
    Am Sonntag nachmittag brach Leona auf, um nach Frankfurt zurückzufahren. Sie kam nur langsam voran; den warmen Frühlingssonntag hatten viele Städter genutzt, hinaus in die Wälder zu fahren, und Leona geriet mitten in die Heimfahrerwelle hinein. Obwohl sie fast ständig im Stau stand, blieb sie gelassen. Das Wochenende daheim hatte ihre Nerven beruhigt. Sie dachte zwar noch an Robert, aber nicht mehr in solch einer Panik wie zuvor. Eine Nervensäge, ein Spinner. Kein Gewalttäter.
    Sie summte leise vor sich hin, als sie endlich, gegen sieben Uhr, in ihre Straße einbog.
    Vor ihrer Haustür stand Wolfgang und schien ziemlich erbost, und es erheiterte Leona festzustellen, wie häufig sie in der letzten Zeit Männer vor ihrer Tür antraf. Immer wirkten sie wie bestellt und nicht abgeholt und waren verärgert, weil die Hausherrin so lange auf sich warten ließ.
    Wolfgang war fast zornig diesmal.
    »Mißtrauen ist ja gut und schön«, sagte er anstelle einer Begrüßung, »auch gegenüber dem eigenen Ehemann. Aber du hättest mich wenigstens informieren können, daß du die Schlösser austauschen läßt, wenn du das schon überhaupt für nötig hältst!«
    Leona stellte die vielen Körbe voller Lebensmittel, die Elisabeth ihr fürsorglich eingepackt hatte, auf den Gartenweg und kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel.
    »Wolltest du mich besuchen?« fragte sie.
    »Nein, keine Sorge«, antwortete er gereizt, »ich hatte keineswegs die Absicht, dir zur Last zu fallen. Ich brauche lediglich dringend ein paar Unterlagen für die Steuer, die
ich immer noch in meinem Arbeitszimmer habe. Ich habe geklingelt und gewartet, ich bin mehrfach ums Haus herumgegangen, um zu sehen, ob du vielleicht im Garten bist. Schließlich habe ich mir gedacht, du könntest unter den Umständen eigentlich nichts dagegen haben, wenn ich mir rasch selber aufschließe und meine Sachen hole. Aber offenbar hast du genau einem solch ungehörigen Verhalten vorbeugen

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