Der Verehrer
wollen!« Er war die Gekränktheit in Person. »Herrgott, Leona, was sollte das denn? Hast du geglaubt, ich klaue in deiner Abwesenheit das Silber oder deinen Schmuck?«
»Ich habe doch nicht wegen dir die Schlösser auswechseln lassen«, erklärte Leona. Hektisch fuhrwerkte sie in ihrer Tasche herum. »Wo ist denn nur der verdammte Schlüssel? Du hast geklingelt, sagst du? Mich wundert, daß Paul dir nicht aufgemacht hat.«
»Paul? Hast du schon den nächsten männlichen Logierbesuch? «
»Unser Paul. Olivias Paul. Mein Schwager. Er wohnt hier für eine Weile, weil er Abstand von Olivia braucht.«
»Aha«, sagte Wolfgang, und ihm war anzusehen, daß ihm auch diese Konstellation nicht sonderlich gut gefiel.
»Sein Auto steht draußen«, fuhr Leona fort, »deshalb dachte ich, er sei da.«
»Mir ist gar kein Auto aufgefallen. Leona, kannst du mir jetzt mal erklären, was die Geschichte mit den Schlössern zu bedeuten hat?«
»Gleich. Komm erst mal rein.« Leona hatte ihren Schlüssel endlich gefunden und schloß die Tür auf. Wolfgang nahm die Körbe, die sie abgestellt hatte, und folgte ihr ins Haus.
Intensiver Farbgeruch schlug ihnen sofort entgegen.
»Eigenartig«, sagte Leona.
»Hast du irgendwo frisch gestrichen?« fragte Wolfgang.
»Nein. Ich wollte nächste Woche die Küchenschränke streichen, aber …« Sie unterbrach sich, als sie ins Wohnzimmer trat. »Paul muß dasein! Schau mal, der Fernseher läuft. Und hier steht ein Bierglas.«
»Auf mein Klingeln hat er jedenfalls nicht reagiert«, sagte Wolfgang. Er schaute zum Fenster hin. »Das hat mich vorhin von draußen schon gewundert. Wieso sind um diese Tageszeit die Vorhänge zugezogen?«
Ein seltsames, beunruhigendes Gefühl beschlich Leona.
»Ich sehe oben nach«, sagte sie, verließ das Wohnzimmer und lief die Treppe hinauf.
»Paul!« rief sie. »Ich bin’s, Leona! Wo steckst du denn?«
Niemand antwortete. Gerade, als sie die Tür zum Gästezimmer aufriß, vernahm sie Wolfgang von unten. Seine Stimme klang entsetzt.
»Um Gottes willen! Komm schnell, Leona!«
Sie stürzte die Treppe hinunter.
»Wo bist du?«
»In der Küche! Beeil dich!«
Den Anblick, der sich ihr bot, würde sie nie im Leben vergessen.
Wolfgang kauerte auf dem Boden; um ihn herum verteilt standen all die Körbe und Taschen, die er ins Haus getragen und dann in die Küche gebracht hatte. Vor ihm lag Paul. Er war zusammengekrümmt wie ein Embryo, lag halb auf der Seite, so daß man nur die eine Hälfte seines leichenblassen Gesichtes sehen konnte. Ein feiner Blutfaden verlief vom Ohr den Hals hinunter bis zur Schulter. Unmittelbar vor ihm auf den Fliesen lag eine eiserne Hantel. Wolfgang tastete gerade nach Pauls Arm und versuchte, den Puls zu fühlen. Leona brachte im ersten Moment kein Wort heraus. Sie starrte auf die Szene vor ihren
Augen, als habe sie Schwierigkeiten zu begreifen, was sie da sah. Als sie schließlich zu reden vermochte, klang ihre Stimme krächzend.
»Was ist passiert?« fragte sie und dachte im nächsten Moment: Wie dumm! Als ob Wolfgang das wüßte!
»Ich kann den Puls nicht fühlen«, sagte Wolfgang, leise und schockiert. »Ich kann, verdammt noch mal, den Puls nicht fühlen!«
»Glaubst du, er ist tot?«
Wolfgang sprang auf. »Wir müssen sofort den Notarzt rufen. Er muß furchtbar unglücklich gestürzt sein!«
Er rannte ins Wohnzimmer zum Telefon. Leona starrte die Hantel an. Sie gehörte ihr nicht. Sie besaß so etwas überhaupt nicht. Paul, soweit sie wußte, auch nicht. Wo kam dieses Ding her?
Es gelang ihr endlich, sich zu bewegen. Sie kniete neben Paul nieder. Nun erst sah sie, wie verwüstet sein Gesicht war. Das rechte Auge völlig zugeschwollen, grün und violett schimmernd. Die Nase zertrümmert, voll verschorftem, verkrustetem Blut. Die Lippen aufgeplatzt, blutig. Und nicht nur das Gesicht hatte sich in eine Kraterlandschaft der Zerstörung verwandelt: Die Arme zierten Blutergüsse in allen Formen, Farben und Größen. Die Finger standen so eigenartig weit ab, als seien sie gebrochen. An mehreren Stellen zeigten sich Blutflecken auf Pauls Kleidungsstücken.
Leona hielt entsetzt den Atem an. Paul war nicht gestürzt und dabei unglücklich mit dem Kopf aufgeschlagen. Paul war zusammengeschlagen worden. Auf die denkbar brutalste und erbarmungsloseste Weise. Und mit der eisernen Hantel, die ihn vermutlich hinter dem Ohr getroffen hatte, hatte ihm sein Gegner den Rest gegeben. Er hatte gründliche Arbeit geleistet. Er mußte wie
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