Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
bereits um das Jahr 180 einen Vorrang der römischen Kirche und beruft sich dabei auf die Gründung durch die beiden Apostel Petrus und Paulus!«, wandte der Papst nachdrücklich ein.
»Wohlgemerkt: Petrus und Paulus, nicht Petrus allein!«, erwiderte ich. »Das christliche Bekenntnis sei durch eine ununterbrochene Reihe von Bischöfen überliefert worden, deren erster noch von den Aposteln selbst erwählt und geweiht wurde. Irenaios zählt die Bischöfe auf - das ist die erste überlieferte Papstliste. Sie ist konstruiert worden, um bestehende Machtverhältnisse in Rom zu rechtfertigen. Dabei ist Irenaios allerdings nicht besonders geschickt vorgegangen. Denn wieso ist Linus der erste Papst, und nicht Petrus, der doch angeblich fünfundzwanzig Jahre lang Bischof von Rom war - auch das ist nur eine fromme Legende! Und hat Irenaios Paulus' Römerbrief nicht gelesen, den der Apostel an eine seit Jahren bestehende Gemeinde in Rom schrieb, die er noch gar nicht besucht hatte - also auch nicht gegründet haben konnte! Und wieso lässt Paulus am Ende seines Schreibens Petrus nicht grüßen, wenn der doch angeblich Bischof von Rom gewesen ist?
Warum schweigt Lukas in seiner Apostelgeschichte über diesen großartigen Triumph des christlichen Glaubens: Petrus und Paulus, die gemeinsam die Fackel des wahren Glaubens an den Gottessohn Jesus Christus nach Rom tragen und Seite an Seite während der Christenverfolgung des Brandstifters Nero als Märtyrer sterben! Das wäre doch ein eindrucksvoller Schluss seines Werkes gewesen! Warum bricht der Evangelist seine Geschichte lange vor dem Ende ab? Eingedenk der Tatsache, dass Petrus bei Lukas nur eine Statistenrolle neben dem Protagonisten Paulus innehat und, sobald et seinen Text aufgesagt hat, aus der Geschichte verschwindet, um ›an einen anderen Ort zu gehen‹, wollte der Evangelist den wenig ruhmreichen Tod des Petrus vermutlich nicht schildern. Ich weiß nicht, wer die römische Gemeinde gegründet hat - Petrus und Paulus waren es gewiss nicht.
Nein, Bruder Gabriel, im ganzen Neuen Testament findet sich kein Wort über Petrus als Apostelfürst, als Bischof von Rom oder gar als Papst. Nichts, was sich mit viel Fantasie - und damit sind wir Theologen ja im Übermaß gesegnet! - als theoretische Grundlage zur Rechtfertigung des Papsttums heranziehen ließe.«
»Wenn Petrus, wie Ihr sagt, nie in Rom gewesen ist - wie erklärt Ihr Euch dann das Petrusgrab unter der Basilica di San Pietro?«, fragte der Papst mit funkelnden Augen. War er zornig? Nein! Bestürzt.
»Liegt er denn wirklich dort begraben? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass ein Verbrecher - denn als solcher soll Petrus gekreuzigt worden sein - in einem Massengrab neben dem Circus verscharrt wurde? Ohne Grabstein! Was, wenn der Leichnam nach der Hinrichtung verbrannt worden ist? Berichtet nicht ein römischer Historiker von menschlichen Fackeln in Neros Gärten? Was, wenn den Christen die Herausgabe der sterblichen Überreste ihres verehrten Märtyrers verweigert wurde, um die weitere Ausbreitung jener verfolgten Sekte zu verhindern? Nein, Bruder Gabriel, die frühchristlichen Traditionen übet das Petrusgrab widersprechen sich derart, dass ich sie nicht für historisch erachten kann. Sie sind erfundene Legenden zum höheren Ruhm des römischen Papstes.«
»Keine andere christliche Gemeinde als Rom erhebt den Anspruch, das Petrusgrab zu bewahren!«
»Das ist wahr«, räumte ich ein. »Und trotzdem: Ich glaube, dass Petrus in Jerusalem begraben liegt. Oder in Babylon - wo er ja seinen Brief schrieb, den Petrus-Brief des Neuen Testaments.«
»Babylon ist eine hasserfüllte jüdische Metapher für das heidnische, verderbte Rom«, wandte Eugenius ein. »In der Apostelgeschichte lesen wir, dass Petrus ›an einen anderen Ort ging‹. Der Evangelist meint Rom.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Bruder Gabriel. Wenn Petrus nach Rom gegangen wäre, hätte Lukas das geschrieben. Er scheute sich ja auch nicht, Paulus' Romreise zu erwähnen. Der Petrusbrief stammt tatsächlich aus dem Osten.«
»Das ist Unsinn, Bruder Niketas! Was, um Himmels willen, sollte Petrus denn in Babylon?«
»Verlorene Schafe suchen.«
»Ich verstehe nicht ...«
»Die verlorenen zehn Stämme Israels, die in die Assyrische Gefangenschaft verschleppt worden waren, sind die »verirrten Schafe‹, zu denen Jesus sich gesandt fühlte. Seit dem Assyrischen und dem Babylonischen Exil gab es im Osten mehr Juden als im Westen, im Imperium
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