Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Archimandrit von Konstantinopolis, Abt von Mistra, Berater Seiner Majestät des Kai...«
»Schon gut, Frater, schon gut!«, winkte Papst Eugenius mit gespielter Resignation ab. »Ich weiß, dass die Ehrentitulatur Seiner Seligkeit länger ist als meine.«
Sobald sein Sekretär die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte sich der Papst zu mir um und begrüßte mich mit einem Friedenskuss auf beide Wangen. Sein sonst so ernstes Gesicht erstrahlte in einem gütigen Lächeln. Seine Ehrfurcht gebietende, majestätische Gestalt, sein gebieterisches Auftreten und seine asketisch-schlichte Lebensweise als Mönchseremit hatten mich von Anfang an beeindruckt. Ich mochte ihn - als Papst und als Mensch.
»Ich freue mich sehr, dass Ihr gekommen seid«, gestand er und berührte mit den Fingern das hölzerne Brustkreuz, das er über seinem blauen Habit trug. »Nach Eurer Rede in der letzten Konzilssitzung war ich unsicher, wie Ihr reagieren würdet, wenn ich unter vier Augen mit Euch sprechen wollte - und sehr erleichtert, als Kardinal Cesarini mir nach der Weihnachtsmesse mitteilte, Ihr hättet diesem informellen Treffen zugestimmt.«
Er legte mir die Hand auf die Schulter und wies mit einer einladenden Geste auf zwei Sessel vor dem Kamin.
»›Ihr könnt nicht Euer Siegel unter ein Dekret setzen und urbi et orbi verkünden: Das ist die Wahrheit, unfehlbar und unveränderlich! Wir sind Menschen, die irren können. Lasst uns nicht den unverzeihlichen Fehler begehen, unseren Glauben für die absolute und letztgültige Wahrheit zu halten.‹ Diese leidenschaftlichen Worte habt Ihr uns allen entgegengeschleudert! Hundert Kardinälen, Metropoliten, Erzbischöfen und Äbten, einem Kaiser und einem Papst habt Ihr die Leviten gelesen.« Seine Augen funkelten anerkennend. »Ich habe lange über Eure Worte nachgedacht. Besonders über Eure Ermahnung zu brüderlicher Freundschaft. Daher unser Disput inter Pares, unter Brüdern in Christo. Glaubt Ihr, Bruder Niketas, dass wir die Union nach einem Jahr dogmatischer Streitereien noch zustande bringen können?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte ich. »Die römische und die griechische Kirche sind seit fast vierhundert Jahren durch das Schisma getrennt. Seit beinahe einem Jahr ringen wir um die Wiedervereinigung und sind uns doch keinen Schritt nähergekommen. Ganz im Gegenteil! Es hätte nicht viel gefehlt, und die letzte Konzilssitzung hätte damit geendet, dass wir die gegenseitigen Bannflüche erneuern.«
»Gott sei Dank habt Ihr das durch Euer beherztes Eingreifen verhindert! Denn das wäre das Ende unserer Hoffnung auf eine Versöhnung der Christen in Orient und Okzident.« Er seufzte. »Und so treffen wir uns - ich, der Nachfolger des Apostelfürsten Petrus, und Ihr, in apostolischer Sukzession Nachfolger des Paulus - zu einem vertraulichen Gespräch. Ich bitte Euch, lasst uns offen miteinander reden, Bruder Niketas.«
Er streckte mir die Hand mit dem Fischerring entgegen, und ich ergriff sie. Sein Händedruck war fest, sein herzliches Lächeln ein Versprechen.
»Offen und ehrlich - so soll es sein, Bruder Gabriel.«
Er wies auf die Sessel vor dem Kamin und bat mich, es mir gemütlich zu machen. Während er einen neben der Tür wartenden Augustinermönch bat, uns Wein zu bringen, sah ich mich in seinem Privatgemach um.
An der Wand neben dem Kamin stand ein schmales Bett mit einer Wolldecke, das mich an das harte Lager in meiner Zelle in San Marco erinnerte. Fra Serafino, der den Papst verehrte, hatte mir verraten, dass Eugenius seine Gebetspflichten sehr ernst nahm. Jede Nacht stand er auf, um mit den Mönchen, die ihm aufwarteten, die Matutin zu beten.
Ein Gewand aus grober Wolle, offenbar sein Nachthemd, war über die Bettdecke gebreitet. Auf dem Nachttisch stapelten sich Bücher. Fra Serafino hatte mir erzählt, dass Eugenius oft las, wenn er nicht schlafen konnte. Einer der Mönche, die an seinem Bett wachten, reichte ihm ein Kissen, eine brennende Kerze und ein Buch, in das der Pontifex sich dann für zwei oder drei Stunden vertiefte. Hin und wieder schlief der Papst über seiner frommen Lektüre ein. Fra Serafino hatte verschmitzt gegrinst: Die Bücher, die Seine Heiligkeit lese, seien aus Lucas Bibliothek entliehen - der Papst sei so arm, dass er sich die kostbaren Folianten nicht kaufen könne.
Dann sah ich den Codex.
Ich sprang auf, ging hinüber zum Bett und nahm den Folianten zur Hand. Behutsam löste ich die Verschnürung, schlug den ledernen Einband auf und
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