Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
aufbrechen. Ich habe einen berechtigten Anspruch auf den türkischen Thron, den Murad mir nicht nehmen kann, indem er meinen Vater ermordet und meine ganze Familie ausrottet. Nach der Kirchenunion werde ich Murad stürzen und als Sultan herrschen.«
»Weiß der Basileus, was du vorhast?«
»Noch nicht. Aber ich glaube, dass er es vorziehen würde, der Vasall von Sultan Selim zu sein als von Sultan Murad. Ioannis kennt mich seit Jahren. Er vertraut mir nicht, weil ich Demetrios' Freund war. Doch er wird mich unterstützen. Was ist mit dir, Niketas? Vertraust du mir?«
»Wirst du Konstantinopolis erobern, Sultan Selim?«
»Nein, Patriarch Niketas, wozu denn? Der Basileus ist mein Vasall und zahlt Tribut. Warum sollte ich zerstören, was mir schon gehört? Ich werde nicht vergessen, was dein Vater, Kaiser Manuel, für meinen Vater, Sultan Mustafa, getan hat, als er ihm half, den Thron zu besteigen. Und ich werde auch nicht vergessen, dass Kaiser Ioannis mich nach dem Massaker an meiner Familie und meiner Flucht freundlich aufnahm.«
»Wirst du Demetrios die Stufen zum Purpurthron hinaufhelfen, Sultan Selim?«
»Nein, denn ich kann nicht gutheißen, dass dein Bruder mit Murads Hilfe den Basileus stürzen will, um selbst als Kaiser von des Sultans Gnaden zu regieren. Das werde ich ebenso wenig zulassen wie du.« Er sah mir fest in die Augen. »Wirst du einen Kreuzzug gegen mich führen, Patriarch Niketas?«
»Wenn du Byzanz nicht bedrohst und Religionsfreiheit gewährst, Sultan Selim, dann werde ich nicht gegen dich kämpfen. Nicht mit dem Schwert und nicht mit dem Kreuz in meiner Hand.«
»Ich vertraue dir, mein Freund.« Er reichte mir die Hand, und ich schlug ein.
Wenig später geleitete ich ihn zur Tür meiner Gemächer. »Allah schütze dich, Niketas.«
»Und dich, Selim. Möge der Allmächtige dir Frieden schenken.«
»Möge Gott uns allen Frieden schenken!«, erwiderte er ernst.
Als ich öffnete, um ihn hinauszulassen, stand Alessandra plötzlich vor mir. Sie hatte vor der Tür gewartet!
Selim wünschte mir eine gute Nacht, warf ihr einen neugierigen Blick zu und verschwand. Alessandra huschte an mir vorbei in den Raum. Ich war zu überrascht, um sie aufzuhalten. Dann stand sie vor mir und sah mir in die Augen.
»Sag mir, wie enttäuscht du von mir bist und wie sehr du mich verachtest, Niketas! Sag mir, wie sehr du mich hasst, weil ich dir das angetan habe! Sag mir, wie verletzt du bist! Bitte mich, diesen Raum zu verlassen und für immer aus deinem Leben zu verschwinden, damit ich dir nie wieder wehtun kann!«
Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Aber wenn du noch einen kleinen Funken Liebe in dir spürst, dann bitte mich zu bleiben! Lass mich dir erklären, was zwischen Cosimo und mir geschehen ist ...«
Still beobachtete ich, wie die Kerze neben meinem Bett herunterbrannte.
Die Flamme hatte nun das Ende des Dochtes erreicht. Ein verzweifeltes Flackern, ein letztes, helles Strahlen, dann erlosch das Licht. Ein feiner weißer Rauchfaden wirbelte zur Decke - Zeichen der Vergänglichkeit.
Das Glühen des Dochtes erstarb. Für immer.
Es war finster um mich.
»Uns bleibt so wenig Zeit, mein Liebster. Lass uns keinen Augenblick verschwenden!«, hatte sie vorhin gesagt.
Ich räkelte mich in den Kissen meines Bettes, zog fröstelnd die Decke über meinen nackten Körper und schloss die Augen.
Ich wollte nicht schlafen. Nicht heute Nacht. Ich war so ...
Ein Geräusch ließ mich aufhorchen.
Leise Schritte. Ein Knarren der Dielen. Irgendjemand war in mein Arbeitszimmer eingedrungen, das neben meinem Schlafgemach lag!
Ich setzte mich auf, hielt den Atem an und lauschte in die nächtliche Stille.
Wer schlich so spät noch durch die Gänge des Palazzo Peruzzi? Eine der Palastwachen, die mich vor einem Anschlag schützen sollten? Mein Sekretär Leandros? Oder war es ...
Allmächtiger Gott!
Ich zog den Dolch unter dem Kopfkissen hervor, sprang aus dem Bett und huschte lautlos zur Tür meines Arbeitszimmers. Ich horchte, aber alles war ruhig.
Behutsam öffnete ich die Tür und spähte durch den Spalt, dann trat ich in den vom Silberlicht des Mondes erhellten Raum. Kein Attentäter warf sich mit blitzendem Dolch auf mich, kein verhüllter Mönch verbarg sich in den Schatten.
Auf bloßen Füßen tappte ich zum Schreibtisch. Eine Diele des Holzbodens knarzte - so wie gerade eben! Also hatte ich mich nicht getäuscht: Irgendjemand war hier gewesen!
Ich entzündete eine Kerze und wühlte mich durch
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