Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
er mich durch die Dünen verfolgte und auf Leben und Tod mit mir rang, um am Ende den Kampf zu verlieren. Vermutlich nahm er an, ich würde ihm das Evangelium nicht freiwillig überlassen - Tayeb hatte in der Genisa sein Schwert gezogen, und auch ich war bewaffnet.«
Ich zeigte ihm den eisernen Nagel aus dem Portal der Synagoge.
Schweigend musterte er mich.
Schließlich sprang er auf, klopfte sich das Laub von der Kleidung und streckte die Hand aus, um mir aufzuhelfen. »Komm jetzt, wir haben noch einen weiten Weg vor uns!«
»Wohin bringst du mich?«
»Nach Rom.«
Auf der alten Römerstraße Via Cassia ritten wir durch bewaldete Täler nach Süden. Die Sonne schien in einem tiefblauen, wolkenlosen Himmel, die Vögel zwitscherten, und die Frühlingsluft dieses Ostersamstags war warm und weich wie Seide. Welch eine Wohltat nach dem langen, harten Winter!
Cesare hatte mir ein eigenes Pferd gegeben, einen feurigen Hengst, der trotz des Gewaltritts nicht ermüdete. Im Gegensatz zu mir: Ich war bald erschöpft, meine Arme und Beine zitterten von der Anstrengung, und ich hatte Mühe, mich im Sattel zu halten. Seit dem Anschlag von Bruder Leonidas waren erst vier Wochen vergangen, und ich hatte mich noch nicht völlig erholt.
Nachdem wir San Casciano hinter uns gelassen hatten, durchschnitt Cesare meine Handfesseln. Er hatte bemerkt, wie ermattet ich war. Mit freien Händen würde mich der Gewaltritt nicht so anstrengen.
Während wir nun eine halbe Stunde lang in erholsamem Tempo die toskanischen Hügel durchquerten, sah ich mich immer wieder nach umherstreifenden Söldnern um, konnte jedoch keine entdecken. Cesare beruhigte mich: Niccolò Piccinino, der Condottiere von Filippo Maria Visconti, halte sich mit seinem Heer nach wie vor in der Lombardei auf.
Der Herzog von Mailand war entschlossen, Florenz anzugreifen, und sein Verbündeter Rinaldo degli Albizzi wollte aus dem Exil zurückkehren, um seinen Todfeind Cosimo de' Medici zu stürzen, der ihn vor fünf Jahren aus der Stadt vertrieben hatte. Doch entgegen Cosimos Befürchtungen war Piccinino bisher nicht vor den Toren von Florenz erschienen, um die Stadt zu belagern.
Von Cosimos Machtkampf mit dem Papst erzählte ich Cesare ebenso wenig wie von seiner Furcht vor Vitelleschi, der das Heer der Kirche kommandierte.
Nun, da Cosimo sich mit dem Papst zerstritten hatte und nach Ablauf seiner Amtszeit die Würde als Staatsoberhaupt niedergelegt hatte, dachten die Prioren der Regierung darüber nach, Rinaldo degli Albizzi und seine Gefolgsleute aus dem Exil zurückzuholen - vielleicht ließ sich so ein Angriff Niccolò Piccininos auf Florenz abwenden! Doch was, wenn Rinaldo aus dem Exil zurückkehrte und die blutigen Straßenschlachten zwischen den Medici und den Albizzi wieder aufflammten? Was, wenn Niccolò Piccinino die Republik Florenz für den Herzog von Mailand eroberte? Was, wenn Giovanni Vitelleschi ihn in der Schlacht besiegte und die Papstresidenz Florenz für den Kirchenstaat annektierte? Was, wenn er Eugenius stürzte und selbst den Thron Petri bestieg?
Kein Wunder, dass Cosimo sich für einige Tage nach San Marco geflüchtet hatte, um sich zu besinnen, nun, da er nur noch Bankier des Papstes war - welches Pontifex auch immer, Papst Eugenius' oder seines baldigen Nachfolgers, Papst Johannes ...
Erst kurz vor Mitternacht erreichten wir Siena - die Stadttore waren längst geschlossen. Cesare ritt mit mir zum Campo, während sein Adjutant noch mit den Torwächtern über die Höhe der ›Gebühren‹ für das nächtliche Offnen der Porta Romana verhandelte. Wir trabten die stille Via Roma hinauf, bogen nach links in eine schmale Gasse und überquerten die Piazza del Campo mit dem von Fackeln erleuchteten Palazzo Pubblico, dem Rathaus von Siena, und seinem hohen Wehrturm. Ich war so müde, dass ich beinahe im Sattel eingeschlafen wäre.
»Wir sind gleich da. Es ist nicht mehr weit. Warst du schon einmal in Siena?«
»Schon oft«, nickte ich. »Wenn ich nach Rom reite, übernachte ich im Palazzo Piccolomini nahe dem Campo. Den Palio habe ich mir angesehen, nachdem ich Marco in Montecassino besucht hatte.«
»Die Pferderennen begeistern mich! Das Gedränge auf dem Campo, das ausgelassene Geschrei, der aufgewirbelte Staub, der wilde Ritt!«, rief er, und seine Augen blitzten im Schein der Fackeln am Palazzo Pubblico. »Vielleicht reite ich in diesem Jahr für eines der Stadtviertel - falls ich nicht gegen Piccinino in den Krieg ziehe. Ich liebe Siena -
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