Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
war bloß in ihn gefahren?
Wo Cesare die Nacht verbrachte, wusste ich nicht. Ich fragte ihn auch nicht danach, als er mir am nächsten Morgen in den Sattel half. Wie übernächtigt er aussah! Vermutlich hatte er sich im Bett einer Hure ausgetobt. Und nicht nur einmal.
Ich ließ ihn in Ruhe und beobachtete, wie er mit jeder Meile, die wir in Richtung Rom zurücklegten, missgelaunter wurde. Zorniger. Und noch stiller.
Mir war klar, dass er um eine Entscheidung rang - doch welche? Wenn das, was ihn so quälte, nicht der Gedanke an die Blutrache war, was war es dann?
Nach unserer Ankunft in Orvieto brachte er mich zum Palazzo del Capitano del Popolo, wo ich auf einem harten Lager in einer Kerkerzelle die Nacht verbrachte. Die schweren Ketten, die an der Wand befestigt waren, ersparte er mir.
Obwohl ich von dem Gewaltritt erschöpft war, schlief ich in jener Nacht nur ein oder zwei Stunden lang. Was hatte Vitelleschi ihm befohlen, das er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte? Was erwartete mich in Rom?
Und Niketas? Wie ging es ihm? Hatte er wieder einen schweren Anfall erlitten, als Cosimo ihm mitteilte, dass er mich in Florenz nicht finden könne und nicht wisse, ob ich überhaupt noch lebte? Ich machte mir solche Sorgen.
Am nächsten Morgen brachen wir noch vor Tagesanbruch auf und ritten über die Via Cassia nach Viterbo, wo wir in einem Gasthof zu Mittag aßen. Von dort ging es weiter nach Bracciano, der Festung der Orsini.
Die Nacht verbrachte ich im Verlies der Burg. Cesare schickte mir einen Teller Linsensuppe und ein Stück Brot in meine Kerkerzelle und nahm sein Mahl allein im großen Speisesaal ein. Der Rest seiner Familie war nicht in Bracciano, sondern belagerte die Colonna-Festung Zagarolo. Das erzählte mir der Kerkermeister, als er mir Teller und Holzlöffel wieder abnahm. Dann brachte er mir »auf Befehl Seiner Gnaden!« eine Wolldecke für die Nacht.
Mitten in der Nacht erwachte ich von einem leisen Quietschen, als jemand das eiserne Gitter meiner Zelle aufschob. Ich blinzelte ins grelle Licht der Fackel, die hinter seinem Rücken brannte. Ich atmete ruhig weiter, als ob ich schlief. Mein Herz raste.
Cesare verharrte reglos in der offenen Tür und betrachtete mich mit geballten Fäusten. Sein Gesicht lag im Schatten.
Als er sich langsam umwandte, um den Kerker zu verlassen und in sein Bett zurückzuschleichen, sah ich durch meine halb geöffneten Lider die Tränen in seinen Augen schimmern.
Die Sonne war bereits untergegangen, als wir am nächsten Tag Rom erreichten.
Die Abenddämmerung tauchte die Ewige Stadt in ein glühendes Rot. Der Himmel über dem Meer leuchtete wie geschmolzenes Gold, das im Osten im tiefen Blau der heraufziehenden Nacht versank. Die ersten Sterne funkelten am blaugoldenen Firmament, und die vom Wind zerfetzten Wolken brannten wie in einem gewaltigen Feuersturm über dem Vatikan und der Engelsburg. Dort glühte die Kuppel des Pantheons. Da war das Kapitol, das Forum Romanum und das Kolosseum. Und dort San Giovanni in Laterano und die Residenz der Päpste.
Im letzten Licht des Tages genoss ich diesen atemberaubenden Anblick Roms, diese wahrlich apokalyptische Szenerie, die so ganz meiner Stimmung entsprach. Ich war wieder zu Hause! Rom war meine Heimat, nicht Florenz oder Venedig. Nur Rom vermochte diese leidenschaftlichen Gefühle von Liebe und Hass in mir zu entfachen.
»Willkommen in der Hölle!«, murmelte ich. »Cesare, was glaubst du - wann wird Satan mich empfangen? Oder ist der Antichrist noch nicht in Rom?«
Cesare, der neben mir auf seinem Hengst saß, blickte mich traurig an.
Einer der Bewaffneten, die uns von Bracciano nach Rom eskortiert hatten, zog sein Schwert. »Ihr wagt es, Seine Eminenz ...«
»Weg mit der Waffe!«, brüllte Cesare ihn an und hob gebieterisch die Hand. »Du kennst meinen Befehl!«
»Ja, Euer Gnaden!« Er schob das Schwert zurück.
Cesare wandte sich zu mir um. »Soweit ich weiß, ist er noch nicht von Zagarolo zurückgekehrt. Sobald er kommt, will er dich sehen.«
»Wie schön!«
»Ich werde dir nun die Hände fesseln. Bitte wehre dich nicht!«
Seufzend überkreuzte ich meine Arme hinter meinem Rücken. Cesare ließ seinen Hengst einen Schritt zurückgehen, dann beugte er sich zu mir herüber und fesselte mich mit einem Lederriemen. Er bemühte sich, mir nicht wehzutun, zog die Fessel jedoch so fest, dass es mir unmöglich war, meine Hände zu befreien. »Tut mir leid«, murmelte er. »Ich will dich nicht
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