Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
mehr als Rom. Mein Palazzo ist nur wenige Schritte vom Campo entfernt, und ich komme oft hierher, wenn ich nach einem Feldzug Ruhe und Besinnung suche. Im Winter, wenn ich nicht im Feldlager bei meinen Truppen bin, ist mein Haus in Siena gemütlicher als die eisig kalte Festung meiner Familie in Bracciano.«
»Cesare, ich beneide dich!«, gestand ich müde. »Du glaubst ja nicht, wie ich mich danach sehne, den Machtkämpfen unserer Familien zu entkommen, dem Kampf der Colonna gegen den Satanskardinal, den Hochverratsprozessen, Folterungen und Hinrichtungen in Rom - diesem ganzen Irrsinn!«
Cesare wurde sehr ernst, als ich Folter und Tod erwähnte.
»Seit zwanzig Jahren lebe ich nun schon in Florenz. Meinen Namen habe ich vor acht Jahren abgelegt. Und doch bin ich immer noch eine Colonna. Dieser Name ist wie ein Brandzeichen, das ich auf meiner Stirn trage. Ich kann es nicht verleugnen, ich kann es nicht verbergen, und ich kann es nicht entfernen.
Als mein Vater noch lebte, bin ich oft verschwunden, um in verstaubten Klosterbibliotheken nach verschollenen Manuskripten zu suchen. Mailand, Ferrara, Venedig, Ravenna, Assisi, Montecassino, Rom. Immer wieder Rom! Diese geliebte und gehasste, faszinierende und erschreckende Stadt! Doch nun, da mein Vater tot ist und ich die Verantwortung für das Unternehmen in Florenz trage, kann ich nicht mehr fliehen.«
Wir bogen nach links in die Via di Cittä ein, eine schmale Gasse, die in weitem Bogen um den Campo herumführte. Hier standen die Palazzi der Familien Petrucci, Chigi und Piccolomini.
»Wohin würdest du verschwinden, wenn du es könntest?«
»Nach Venedig«, seufzte ich. »In einen Palazzo am Canal Grande. Ein Liebesnest für ein paar unbeschwerte Wochen in der Serenissima! Verträumte Gondelfahrten auf der Lagune. Lange Spaziergänge Arm in Arm an den Canali. Das würde mich sehr glücklich machen!«
Vor einem imposanten Haus neben dem Palazzo Chigi sprang Cesare vom Pferd und half mir aus dem Sattel. Ich war so erschöpft, dass ich in seine Arme stolperte. Sein Atem streichelte mein Gesicht, als er mir in die Augen sah. »Du hast einen Geliebten, nicht wahr?«
Zart wie ein Windhauch streiften seine Lippen die meinen. Dann küsste er mich, und der leise Windhauch wurde zum Sturm der Leidenschaft.
Wenn ich Niketas nie begegnet wäre, hätte ich mich Herz über Verstand in Cesare verlieben können, in sein charmantes Lächeln und seine temperamentvolle, alles mit sich reißende Art. Ich konnte es nicht leugnen, ich fand ihn äußerst attraktiv und begehrenswert. Cesare und ich - in gewisser Weise waren wir uns sehr ähnlich.
»Willst du ihm treu bleiben?«, flüsterte er mit rauer Stimme.
Sanft strich ich ihm über das Haar und hauchte ihm einen Kuss auf die geöffneten Lippen. Dann nickte ich.
»Schade!«, murmelte er enttäuscht. »Dann muss ich heute Nacht wohl allein schlafen.«
Am nächsten Morgen, dem Ostersonntag, brachen wir schon vor Sonnenaufgang auf und verließen Siena durch die Porta Romana.
Während des stundenlangen Rittes nach Montepulciano war Cesare sehr still. In seinen Augen bemerkte ich einen rätselhaften Schatten, wenn er mich ansah - was er oft tat, sehr oft. War es ein leiser Schmerz? War er in seinem Stolz verletzt und schmollte, weil ich ihn zurückgewiesen hatte? Oder hatte er sich damit abgefunden, dass eine derartige Beziehung zwischen uns undenkbar war? Ich wusste nicht, was er dachte oder wie er empfand, denn er schwieg beharrlich, beantwortete meine Fragen nur einsilbig, gab vor, nach einer schlaflosen Nacht sehr müde zu sein, und flüchtete sich in irgendwelche Launen, die er dann sehr temperamentvoll an seinen Männern ausließ.
Warum behandelte er mich nun wieder wie eine Gefangene? Wieso wich er mir aus?
Als wir spät am Abend die Herberge in Montepulciano erreichten, hob er mich vom Pferd. »Du bist todmüde!«, stellte er besorgt fest. »Kannst du laufen?«
Während wir über den Hof gingen, legte er den Arm um meine Schultern. Doch dann hob er mich hoch und trug mich die Treppe hinauf. Er sprach kein Wort und mied meinen Blick, als ich meinen Kopf an seine Schulter lehnte. In dem Schlafgemach, wo wir beide die Nacht verbringen mussten, weil kein anderes Zimmer frei war, stellte er mich wieder auf den Boden. Dann trat er einen Schritt zurück, murmelte »Buona notte!«, verließ das Schlafgemach und schloss die Tür hinter sich, als sei es ihm unerträglich, mit mir in einem Raum zu sein. Du lieber Himmel, was
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