Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
der Inquisition zu. Dann trat er neben mich, durchschnitt meine Fesseln und streckte beide Arme aus, um mir aus dem Sattel zu helfen. »Komm!«
Ich stieg ab, und er umarmte mich. »Es tut mir leid, Alessandra!«, flüsterte er und küsste mich.
»Hast du auch so empfunden, als du Marco mit Gewalt hierher brachtest?«, fragte ich verächtlich. »Hast du um ihn getrauert, als er unter der Folter starb?«
Er senkte den Blick. »Alessandra, was in Siena zwischen uns geschehen ist ... dieser Kuss ... es hätte nie geschehen dürfen ...«
» Va all'inferno!«
»Da bin ich schon!«, gestand er traurig. »Ich liebe dich! Aber ich kann nicht anders. Ich muss ihm gehorchen.«
»Du hast einen Pakt mit Satan geschlossen, Cesare! Was gibt er dir für deine Seele und dein Gewissen und die Blutopfer, die du ihm bringst? Macht, Ruhm und eine Handvoll Gold? Selbstachtung wird es wohl nicht sein!«
»Nein.« Beschämt wandte er den Blick ab. »Schade, dass du mich so in Erinnerung behältst. Ich hätte mir gewünscht ...«
»Ich werde versuchen, dich zu vergessen, Cesare!«, versicherte ich ihm. »Jeden Tag aufs Neue!«
Cesare wandte sich abrupt um, ging zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Dann zerrte er am Zügel, riss den scheuenden Hengst herum und galoppierte mit seinen Männern die Straße hinunter in Richtung des Palazzo Orsini.
Ich sah ihm nach und rang mit den Tränen.
Ein Dominikaner trat zu mir. Er hatte sanfte Augen, lockiges, haselnussbraunes Haar mit einer kleinen Tonsur und einen gepflegten und zurechtgestutzten Bart, was sehr ungewöhnlich für einen Dominikaner war. Sein Habit war makellos weiß. »Alessandra d'Ascoli? Wir haben Euch erwartet. Folgt mir.«
Ich blickte mich um. Hinter mir standen zwei Schergen der Inquisition mit der Hand am Schwert. Eine Flucht erschien unmöglich.
Der Frater führte mich über die Piazza della Minerva die Stufen hinauf zum Portal der Kirche mit der schlichten weißen Fassade, die ein wenig an Santa Maria Novella in Florenz gemahnte. Dann öffnete er das schwere Tor und ließ mich eintreten. Santa Maria sopra Minerva war auf den Ruinen eines antiken Minerva-Tempels errichtet worden. Im benachbarten Dominikanerkloster befand sich das Generalat des Ordens sowie das Hauptquartier der römischen Inquisition.
Mein Blick schweifte durch das Mittelschiff der Basilika zum Altar - dort hatte ich Luca zum ersten Mal gesehen.
Überwältigt von meinen Erinnerungen blieb ich stehen.
Während der Sonntagsmesse hatte meine Mutter mich fest in den Arm genommen und auf einen Dominikanermönch am Altar gezeigt. Ehrfürchtig hatte ich ihn angestarrt. Ich hatte keine Ahnung, was seine Titel bedeuteten - päpstlicher Legat, Inquisitor von Rom und Vertrauter des Papstes. Doch alle knieten vor ihm nieder und erwiesen ihm mit demütig geneigtem Haupt ihren Respekt, als wäre er und nicht Papst Martin der mächtigste Mann in Rom.
Der Dominikaner riss mich aus meinen Erinnerungen. Während wir die Basilika durchquerten, erklärte er mir, dass der Prior des Konvents, Fra Mariano da Palestrina, sich zurzeit im Vatikan aufhalte und mich später, nach meiner Einkleidung, in meiner Zelle aufsuchen würde.
Dann betraten wir das Kloster. Den Kerker des Geistes. Den Tempel der Selbstverleugnung.
Der Frater führte mich durch den Kreuzgang eine Treppe empor in den ersten Stock und öffnete mir schließlich die Tür zu einer Mönchszelle mit einem schmalen Bett, einem Schreibtisch und einem Regalbrett mit mehreren Büchern, darunter Werke des Thomas von Aquino. An der Wand oberhalb des Betstuhls hing ein hölzerner Crucifixus. Im Licht der Kerze auf dem Schreibtisch erkannte ich die Zelle wieder: Es war die meines Vaters.
Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
Hier hatte meine Mutter Luca offenbart, dass er eine kleine Tochter habe. Hier hatte er sich von mir abgewandt und geweint, als ich meine Hand ausstreckte, um ihn zu berühren. Niemals werde ich den gequälten Ausdruck in Lucas Augen vergessen.
Ich holte tief Atem und rang die schmerzlichen Erinnerungen nieder. »Wessen Zelle ist dies?«
»Der ehrwürdige Prior, Fra Mariano, wohnt hier.«
Auf dem Bett lag ein Büßergewand aus weißer Wolle, das einem Dominikanerhabit glich, nur ohne schwarzes Skapulier.
»Entledigt Euch Eurer weltlichen Kleidung, und zieht diesen Habit und die Sandalen an«, befahl der Frater mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Dann nahm er eine Schere vom Tisch und hielt sie mir hin.
Ich
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