Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
wo wir frische Vorräte an Bord nahmen. Nach vier Stunden liefen wir wieder aus und segelten nach Athen.
Kurz vor Sonnenuntergang, am Abend vor Epiphanias, erreichten wir Kap Sounion an der Südspitze von Griechenland. Am nächsten Morgen landeten wir im Hafen von Athen.
Während ich mit Tayeb die Stadt erkundete, erinnerte ich mich, dass Cosimo bis Epiphanias nach Florenz zurückkehren wollte. War er in Ferrara erfolgreich gewesen? Das Unionskonzil in Florenz wäre für ihn die Krönung der letzten fünf Jahre seit seiner triumphalen Rückkehr aus der Verbannung in Venedig, die Anerkennung seiner Verdienste als Regent der Stadt. Doch was würde ein Florentiner Konzil für Luca bedeuten? Und für mich? Wenn der Verfasser des blutverschmierten Mordauftrags nun mit dem Konzil nach Florenz kam? Dann gnade uns Gott! Tayeb spürte meine Unruhe und versuchte mich abzulenken - vergeblich. Der Gedanke, dass mein Vater in Lebensgefahr schwebte, trieb mir die Tränen in die Augen.
Unterhalb der Akropolis schlenderten wir zum alten römischen Forum und erklommen den Areopag. Auf diesem Felsen hatte in der Antike das höchste Gericht von Athen getagt. Der Apostel Paulus hatte hier sein Evangelium verkündet. Nur wenige Schritte entfernt fanden wir die Residenz des Metropoliten von Athen: ein bescheidener Palast, der an der Stelle errichtet worden war, wo der Heidenapostel Paulus gewohnt haben soll.
Niketas IV. Evangelos war eine Ikone orthodoxer Theologie und platonischer Philosophie - Luca hatte mir sehr viel von ihm erzählt. Mein Vater schätzte Niketas als großen Gelehrten. Der Ziehbruder des byzantinischen Kaisers galt als stärkster Verfechter der Kirchenunion und wegen seines Einflusses am kaiserlichen Hof als möglicher Nachfolger des greisen Patriarchen Joseph. Wie gern hätte ich ihn kennengelernt! Doch seit Monaten nahm er in Ferrara an dem Konzil teil, das Luca mied wie der Teufel das Weihwasser.
Ein kleiner Trost: Mein Weg von Venedig nach Florenz würde über Ferrara führen ...
Am frühen Morgen verließ das Schiff den Hafen von Athen.
Da der Wind günstig stand, kam wenige Tage später die Südspitze Italiens in Sicht. Dann: Ancona, Pesaro, Ravenna. Doch Adrian Venier lief keinen dieser Häfen an.
Am Abend des 15. Januar 1439 passierten wir den Lido und erreichten die silberblau glitzernde Lagune von Venedig. Während des langen, harten Winters war sie zugefroren. Die Serenissima sah aus wie eine verwunschene Insel aus funkelndem Eis!
Schon von weitem erblickte ich im Gegenlicht den Schattenriss der Insel San Giorgio Maggiore - in jenem Kloster hatte Cosimo während seiner Verbannung aus Florenz ein Jahr lang gelebt.
San Marco ... der Palazzo Ducale ... der Campanile ... die Einfahrt zum Canalazzo - so nannten die Venezianer den Canal Grande. Alles schien mir so vertraut. Eineinhalb Jahre zuvor, im Spätsommer 1437, war ich in Venedig gewesen, um die verschollene Bibliothek des Dichters Francesco Petrarca zu suchen. Schon Petrarca hatte nach antiken Manuskripten geforscht und sie in seine großartige Büchersammlung aufgenommen, die er der Republik Venedig vermacht hatte. Der Doge hatte eine Kammer über dem Portico von San Marco bereitgestellt, doch die Bücher waren offenbar nie dorthin gebracht worden. Und seit siebzig Jahren waren sie spurlos verschwunden. Wochenlang hatte ich die Dachböden und Abstellkammern des Dogenpalastes, die Sakristei von San Marco und die Speicher etlicher Palazzi am Canal Grande durchsucht, jedoch vergeblich.
Die Galeere ankerte südlich der Insel Giudecca. Tayebs und mein Gepäck wurde auf einen von Pferden gezogenen Schlitten umgeladen und zu Antonios Haus im Stadtteil Santa Croce gebracht.
Ich genoss den Ritt über den Canal Grande, der im Licht des Sonnenuntergangs golden funkelte, hieb meinem Hengst die Absätze in die Flanken und galoppierte über das Eis, in dem die Gondeln, die vor den Palazzi vertäut lagen, festgefroren waren. Tayeb folgte mir zu Fuß - dem Sohn der Wüste war der zugefrorene Canalazzo nicht geheuer. Er fürchtete einzubrechen und im schwarzen Wasser zu ertrinken.
Die Ca' Trevisan lag in der nördlichen Schleife des Canal Grande nahe dem Palazzo, wo Kaiser Ioannis während seines Aufenthaltes vor fast einem Jahr genächtigt hatte, nachdem der Doge ihn auf dem Bucintoro, seiner goldenen Staatsgaleere, in der Lagune willkommen geheißen hatte. Stolz erzählte mir Antonio während des Abendessens von den prunkvollen Zeremonien. Die Lagune war
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