Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
überfüllt gewesen mit bunt bemalten Gondeln. Wie schön waren die Piazzetta und der Molo für den Empfang des Kaisers, des Patriarchen und der anderen hohen Würdenträger geschmückt gewesen! Und dann die Fahrt des Bucintoro durch den Canal Grande - so viel Prunk, so viel Pracht! Venedig war die Königin der Meere!
Im Morgengrauen brachen Tayeb und ich auf. Wir verstauten die Bücher aus Alexandria, die antiken Codices und die Fragmente des Evangeliums in den Satteltaschen eines Maultiers. Dann ritten wir auf den Pferden, die Antonio besorgt hatte, über die zugefrorene Lagune zur Terraferma. Wir übernachteten in einer Herberge an der Piazza del Duomo von Padua. Am nächsten Morgen erreichten wir Rovigo. Die Gegend südlich der Republik Venedig war Kriegsgebiet. Filippo Maria Visconti, der Herzog von Mailand, kämpfte gegen Francesco Foscari, den Dogen von Venedig, der mit Cosimo de' Medici und Papst Eugenius verbündet war. Der Feldherr des Papstes, der Conte Francesco Sforza, war vor zwei Jahren zu Visconti übergelaufen, weil dieser ihm die Hand seiner einzigen Tochter Bianca versprochen hatte. Francesco Sforza, ein Freund von Cosimo, wollte Schwiegersohn und Erbe des Herzogs von Mailand werden.
Vor einigen Monaten hatte Viscontis Condottiere Niccolò Piccinino Bologna, Imola und Ravenna erobert. Er bedrohte nun Ferrara und die mit dem Papst verbündeten Republiken Venedig und Florenz. Kein Wunder, dass Eugenius einer Verlegung des Konzils nach Florenz so schnell zugestimmt hatte: Der Herzog von Mailand war sein Todfeind.
Am frühen Abend des 19. Januar erreichten Tayeb und ich endlich Ferrara. Wegen des Konzils war die Stadt völlig überfüllt. Wir irrten durch die Gassen und suchten vergeblich eine Unterkunft für die Nacht. Kaiser Ioannis, der im Castello Estense residierte, war mit achtzehn Metropoliten und über siebenhundert Erzbischöfen und Bischöfen, orthodoxen Theologen und Gelehrten angereist. Nicht zuletzt wegen der im August ausgebrochenen Pest befand sich Ferrara im Ausnahmezustand. Obwohl etliche orthodoxe Bischöfe und ihre Gefolge angesichts des drohenden Scheiterns des Konzils bereits abgereist waren, fanden Tayeb und ich weder in Pilgerhospizen noch in den Herbergen der Stadt ein Bett.
Ich war unruhig. War mein Todesurteil hier in Ferrara verfasst worden? Dann war ich in Lebensgefahr! Und noch ein Gedanke quälte mich: War Luca noch am Leben?
Bevor wir durch die tief verschneiten Gassen zur Kathedrale und zur Residenz des Marchese zurückkehren wollten, um bei Niccolò d'Este vorzusprechen, fragte ich mich zu dem Palazzo durch, in dem Niketas von Athen residierte. Wie sich herausstellte, teilte er sich den Palast nahe der Via delle Volte mit Basilios Bessarion, dem Metropoliten von Nikaia.
Ein Sekretär empfing mich im erzbischöflichen Arbeitszimmer, als ich um eine Audienz bei Seiner Seligkeit am nächsten Morgen bat. Ich war erstaunt: Er war ein Jude! Er teilte mir freundlich mit, dass Niketas mit Cosimo nach Florenz gereist sei. Als der Rabbi meine Enttäuschung bemerkte, berichtete er mir, dass sich Seine Seligkeit nach Epiphanias in das Dominikanerkloster San Marco in Florenz zurückgezogen habe. Er befinde sich für einige Wochen in Klausur. Aber es bestehe die Möglichkeit, ihn im Haus von Luca d’Ascoli zu treffen - Seine Seligkeit wolle den Gelehrten, von dem er schon so viel gehört hatte, in Florenz besuchen. Erst als er den Namen meines Vaters aussprach, stutzte er. Als ich ihm erklärte, dass ich Lucas Tochter sei, lud er mich ein, die Nacht im Palazzo zu verbringen.
Und so kam es, dass ich mit dem Metropoliten von Nikaia zu Abend speiste. Anders als die Kardinäle der lateinischen Kirche waren die orthodoxen Metropoliten keine Wesen aus himmlischen Sphären. Es gab kein aufwändiges Zeremoniell, das die Gläubigen auf Distanz hielt, keine Schar von Dienern, die unserem Abendmahl den Anschein einer feierlichen Liturgie gegeben hätten. Ganz im Gegenteil: Basilios Bessarion schenkte mir eigenhändig mein Weinglas voll, während er sich ganz zwanglos mit mir unterhielt. Er war ein bekennender Platoniker und sammelte leidenschaftlich Bücher. Meine Suche nach der berühmten Bibliotheca Alexandrina begeisterte ihn.
Er war erfreut, dass der Papst das Konzil nach Florenz verlegt hatte. Gewiss würde er nach den langen und ermüdenden Konzilssitzungen in Lucas großartiger Bibliothek stöbern. Wie sein Freund Niketas schätzte er meinen Vater als brillanten Theologen und
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