Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
auf den langen Weg zurück in unser Lager, das wir erreichen mussten, bevor die Sonne aufging.
Während wir nebeneinandergingen, dachte ich: Vierzehn zerfaserte Papyrusfragmente mit verblasster Schrift - das war nicht viel im Vergleich zu dem enormen Risiko, das ich eingegangen war, um sie zu retten. Wie konnte ich ahnen, dass eines dieser zerbrechlichen Fragmente einen Spruch Jesu bewahrte, der mein Leben für immer verändern sollte?
Als wir nach dem stundenlangen Irrweg durch das Labyrinth der Souks von Alexandria endlich den Hafen erreichten, atmete ich auf. Waren wir den Bewaffneten, die uns verfolgten, seit wir die Stadt betreten hatten, am Ende entkommen?
In die grelle Morgensonne blinzelnd blickte ich am Hafenkai entlang nach Osten. Er erinnerte mich ein wenig an die Riva des Bacino di San Marco, des Hafens von Venedig. Eine lange Reihe von Schiffen, die ent- oder beladen wurden, schwankende Masten, gereffte Segel, gespannte, knarzende Schiffstaue, Stapel von Handelsgütern: Kisten, Körbe und Ballen, dazwischen Esel, Karren und ägyptische Träger.
»Siehst du es?«, fragte Tayeb, der die Tasche mit den antiken Codices geschultert hatte - alles andere hatten wir in unserem Lager in der Wüste außerhalb von Alexandria zurückgelassen.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
Dann wandte ich mich um und blickte auf den lichtfunkelnden Hafen hinaus, wo weitere Schiffe ankerten. Eine portugiesische Karavelle mit dem roten Kreuz des Christusordens auf dem Segel. Ein französisches Schiff, vermutlich aus Marseille. Ein Segler unter der Fahne des Sultanats von Granada. Der Löwe von San Marco war nirgends zu sehen.
»Da sind sie!«, rief Tayeb. »Sie haben uns entdeckt!«
»Wie weit sind sie entfernt?« Ich drehte mich nicht um, sondern kniff die Augen zusammen und versuchte die im Morgenwind flatternden Flaggen der Schiffe zu identifizieren.
»Hundert Schritte. Sie kommen schnell näher!«
Am Hafenkai entlang hasteten wir nach Osten, wo in der Antike Kleopatras Palast gelegen haben musste. Und die Bibliothek von Alexandria ...
Mein Blick flog von Schiff zu Schiff, von Mast zu Mast: Wo war die venezianische Galeere, von der Antonio Trevisan gesprochen hatte? Antonio hatte am 29. Dezember Alexandria verlassen wollen, um nach Venedig zurückzusegeln. War das Schiff vielleicht noch gar nicht eingetroffen?
Ein paar Schritte weiter lag eine byzantinische Galeere: Am Mast wehte die Flagge mit dem majestätischen Doppeladler von Kaiser Ioannis VIII. Palaiologos. Daneben wurde gerade ein Schiff des Dogen von Genua festgemacht. Dann sah ich ihn: Stolz prangte der goldene Löwe von San Marco mit dem Buch des Evangelisten Markus auf der purpurroten Flagge der Serenissima.
»Sie sind achtzig Schritte hinter uns!«, rief Tayeb, der sich immer wieder umwandte. Mit beiden Händen presste er die Tasche mit den antiken Codices gegen seine Brust.
»Vor uns liegt die Galeere! Vier Matrosen sind an Land gegangen, um die Leinen loszumachen. Wir haben keine Zeit zu verlieren!«, rief ich. »Y'allah!«
Wir stürmten los und rannten in Richtung des venezianischen Schiffes, das in diesem Moment ablegte. Die Männer kehrten an Bord zurück. In Kürze würde die Planke eingeholt, und die Ruder würden ins Wasser tauchen.
Wir sprangen über gespannte Taue, wichen fluchenden Trägern aus und hasteten am byzantinischen und am genuesischen Schiff vorbei. Während wir eine französische Karavelle und eine ägyptische Dhau passierten, riss ich mir meinen Schleier und das arabische Gewand vom Leib. Darunter trug ich das Kleid aus Florentiner Tuch.
Tayeb ließ Turban und Schleier fallen und folgte mir zur venezianischen Galeere.
»Sie sind hinter uns!«, keuchte er.
Nur noch wenige Schritte! Gleich hatten wir es geschafft. Die Matrosen wollten eben die Planke einholen, als ich auf Italienisch rief: »Wartet! Ich bin Venezianerin. Ich werde verfolgt.« Die Männer zögerten. Die Planke schwebte über dem Kai. »Lasst uns an Bord!«, flehte ich.
Der Kapitän trat an die Reling, ihm folgte ein Mann, den ich kannte: »Antonio!«
»Alessandra?«, rief er überrascht. Doch dann reagierte er sofort, hastete zwei, drei Schritte an der Bordwand entlang und half den Matrosen, die Planke herabzulassen, damit Tayeb und ich an Bord kommen konnten.
»Ablegen!«, brüllte der Kapitän, der die Dringlichkeit der Situation erkannt hatte.
Die Planke wurde hastig hochgezogen, die Ruder an Steuerbord wurden zu Wasser gelassen. Als unsere Verfolger
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