Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
nacheinander herabfallenden Segel und trug das Schiff durch das Hafenbecken. Mit jedem Ruderschlag blieb Al-Iskanderiya weiter hinter uns zurück.
Ich lehnte mit Tayeb an der Reling und blickte zurück. Ich war hierhergekommen, um die Bibliothek von Alexandria zu suchen. Stattdessen hatte ich die Papyrusfragmente eines unbekannten Evangeliums gefunden: vier Bruchstücke, die in einem silbernen Amulett auf dem Weg nach Florenz waren, und vierzehn zerfaserte Fragmente in der silberbeschlagenen Tasche an meinem Gürtel. Der Rest des Evangeliums war durch den Einsturz der Genisa für immer zerstört.
Die Dhau näherte sich bedrohlich. Sie war kleiner, wendiger und schneller als die Galeere, die nur langsam Fahrt aufnahm. Ein Offizier am Bug des Bootes forderte uns in Arabisch auf, wir sollten sofort beidrehen und ihn an Bord lassen, doch Adrian Venier, der nur wenige Schritte entfernt an der Reling stand, gab vor, ihn nicht zu verstehen.
»Und wenn sie schießen?«, fragte ich besorgt.
»Auf ein venezianisches Kriegsschiff?«, fragte Antonio ernst. »Die Serenissima ist die größte Seemacht im östlichen Mittelmeer. Sie werden es nicht wagen, sich mit uns anzulegen! Ein Schuss aus der Kanone am Heck, und die Dhau versinkt im Hafenbecken. Die nachfolgende Salve trifft die Stadt.«
Mit dem ausgestreckten Arm wies Antonio auf eine drei Schritt lange Kanone großen Kalibers am Heck. Die Kanonenkugeln, die drei oder vier Pfund wogen, konnten ein Haus in Trümmer legen. Neben der Kanone stand feuerbereit der Kanonier mit einer brennenden Fackel. Zwei Matrosen bereiteten alles vor, um sofort nachzuladen.
»Der Sultan kann es sich nicht leisten, dem Dogen den Krieg zu erklären, indem er auf eine venezianische Galeere schießen lässt«, erklärte Antonio ruhig. »Wir Venezianer wickeln den gesamten ägyptischen Handel mit dem christlichen Europa ab. Der Sultan ist abhängig von der Serenissima. Byzanz ist schon lange keine Seemacht mehr. Die Byzantiner können sich kaum noch selbst über Wasser halten und ihre eigene Hauptstadt mit Lebensmitteln versorgen. Byzanz erleidet in diesem Winter eine Hungersnot und ...«
Tayeb zupfte mich am Ärmel und lenkte meine Aufmerksamkeit auf das ägyptische Boot. Mit einem Spiegel signalisierte der Offizier am Bug der Dhau. Ich fuhr herum: Lichtsignale vom Festungsturm an der Hafeneinfahrt!
»Der Hafen wird gesperrt«, rief ich. »Wir sitzen in der Falle!«
»Bis die Hafenwächter die schwere Kette hochziehen, haben wir die Ruine des Pharos passiert und steuern hinaus aufs offene Meer!«, beruhigte mich Antonio. »Adrian Venier ist ein erfahrener Kapitän, der schon in mehreren Seegefechten gegen die Türken gesiegt hat. Deshalb hatte der Doge ihn und niemand anderen beauftragt, den byzantinischen Kaiser nach Venedig zu bringen. Glaubt mir, er weiß, was er tut.«
Ich hastete nach vorn zur Bugreling.
Wenig später hatte die Galeere die Hafeneinfahrt erreicht: Die ersten gischtigen Wogen des offenen Meeres hoben und senkten den Bug. Die Ruder tauchten in die Wellen, und das Schiff schoss über die sich anhebende Kette hinweg.
Ein Knirschen, das sich zum Dröhnen verstärkte!
Die Kette streifte den Kiel der Galeere!
Dann waren wir darüber hinweg.
Ich beugte mich über die Reling und blickte zurück. Die tropfende Kette stieg langsam aus den Wellen und verschloss den Hafen von Alexandria. Die Dhau, die uns in einiger Entfernung gefolgt war, musste beidrehen.
Ich atmete auf: Wir waren entkommen!
Nachdem Alexandria hinter dem Horizont verschwunden war, geleitete mich Antonio Trevisan unter Deck in die Kajüte, die ich während der Reise mit ihm teilen würde. Bis Venedig würde ich vermutlich keine Gelegenheit haben, ein paar Stunden allein zu sein, um die zerbrochenen Papyrusfragmente zusammenzufügen. Tayebs Schlafplatz war weniger komfortabel. Er hatte zwischen den Säcken, Kisten und Truhen im Laderaum eine Decke ausgerollt - nicht einmal eine zerschlissene Hängematte war noch aufzutreiben gewesen. Es war mir äußerst unangenehm, die Nacht in Antonios Kajüte zu verbringen und Tayeb ein solch hartes Lager zuzumuten. Aber auf keinen Fall wollte ich Antonio bitten, Tayeb in unserer Kabine schlafen zu lassen, nur damit der Anstand gewahrt blieb. Er hatte schon so viel für uns getan!
Kapitän Venier hatte nicht zu viel versprochen: Die Galeere schaffte tatsächlich mehr als sechs Knoten. Nach nur fünf Tagen auf See erreichten wir den venezianischen Hafen Candia auf Kreta,
Weitere Kostenlose Bücher