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Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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arbeitete? Die Behauptung, Paulus habe in Jerusalem beim großen Rabban Gamaliel studiert, dem führenden pharisäischen Gelehrten, dem einflussreichen Mitglied des Hohen Rates, ist ... ‹
    Ich hielt einen Augenblick inne. Dann holte ich tief Luft und schrieb es doch hin:
    ›... eine Lüge.‹
    Wie oft war Paulus von der nazoräischen, also der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem der Häresie beschuldigt worden, ein ›anderes Evangelium‹ und einen »anderen Jesus‹ zu verkünden! Und wie oft hatte Paulus in seinen Briefen beteuert, er lüge nicht! Aber sein Bekenntnis, ein Pharisäer zu sein, war genau das: eine Lüge.
    Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück, genoss die Gluthitze des Kohlenbeckens auf meinem Gesicht, schloss die Augen und entsann mich einer der Glaubensdisputationen, die Natanael und ich während der Überfahrt nach Venedig geführt hatten ...

    »Paulus war gewiss kein Pharisäer«, hatte Natanael mit Nachdruck erklärt. Mit verschränkten Armen hatte er neben mir an der Bugreling der Galeere gelehnt - so nah, dass wir uns berührten. Seit seiner Rückkehr aus Jerusalem war Natanael mir kaum noch von der Seite gewichen. Seit dem tragischen Tod seiner Frau und seines kleinen Sohnes, den ich nie kennengelernt hatte, war ich der Einzige, den er noch hatte: sein Bruder.
    »Weder war Paulus ein Rabbi, noch achtete er die Gebote. Nein, Niketas, wo und wie auch immer Paulus die Kenntnis der Tora erlangte: Zu Füßen von Gamaliel, dem berühmtesten Schriftgelehrten seiner Zeit, hat er gewiss nicht studiert.«
    »Warum nicht?«, hatte ich verblüfft gefragt. Ich hatte geglaubt, Paulus wäre ein pharisäischer Rabbi gewesen - wie Jesus.
    »Tausendundein Gründe!«
    »Nenn mir zwei, die mich überzeugen.«
    »Erster Grund: seine furchtbare Intoleranz gegenüber andersgläubigen Juden. Seine angemaßte Unfehlbarkeit. Seine arrogante Selbstgerechtigkeit. Seine Missachtung der jüdischen Speisegebote und seine Einführung der Eucharistiefeier mit dem rituellen Verspeisen des Gottes. Seine Verachtung gegenüber den Aposteln, die Jesus noch persönlich gekannt hatten, und sein erbitterter Machtkampf mit den Führern der nazoräischen Gemeinde in Jerusalem, Petrus und Jakobus.
    Wenn Paulus zugibt, als pro-römischer Agent des Hohen Priesters die Nazoräer in Jerusalem und Damaskus verfolgt zu haben - die Nazoräer, die in ihrem Glauben den Pharisäern nahestanden und deren Führer ein Rabbi namens Jesus war -, dann war er kein Pharisäer.
    Und wenn Paulus sich nach seiner Bekehrung über Entscheidungen der Führer der Gemeinde hinwegsetzt, weiterhin die Tora entwürdigt, die rituelle Beschneidung als Verstümmelung ablehnt und die Speisegebote missachtet, indem er seinen Anhängern in der Eucharistiefeier das Blut seines Gottes zu trinken gibt - dann war er gewiss kein Pharisäer!«
    Natanael hatte zwei Finger erhoben:
    »Der zweite Grund! Jesus und seine Anhänger waren Pharisäer, die wegen ihrer Frömmigkeit beim Volk hoch angesehen waren. Er hielt die Gebote, betete an jedem Sabbat in der Synagoge, pilgerte an Pessach und Sukkot zum Tempel in Jerusalem. Jesus hat keine neue Religion gegründet - und schon gar keine Kirche. Das ist völlig undenkbar. Jesus war ein Nazoräer, ein ›Wahrer des Bundes‹. Ein streng orthodoxer Jude! Nie hat er von sich selbst als dem Menschensohn gesprochen. Er hat einen anderen herbeigesehnt: den Propheten Elija, auf dessen Rückkehr wir Juden immer noch warten.
    Jesus war der Messias, der gesalbte König Israels! Er wollte die Römer aus dem Land jagen, Israel zu einem unabhängigen Staat machen, das Königreich Gottes aufrichten und bis zum Ende aller Tage, das für ihn gar nicht mehr fern war, in Frieden regieren. Er hatte eine großartige Vision von Frieden und Freiheit für das jüdische Volk, von Nächstenliebe und Selbstachtung. Du weißt, wie sehr ich ihn dafür bewundere. Doch er hatte nicht die Absicht, sich zu opfern, an einem römischen Kreuz zu sterben und durch seinen Sühneopfertod die Menschheit zu erlösen! Gott verlangt keine Menschenopfer. Und Gott kommt auch nicht als Mensch in die Welt, nur um sich an ein römisches Kreuz nageln und verhöhnen zu lassen. Denn welchen Sinn hätte der Selbstmord Gottes?
    Paulus begeisterte sich nicht für den gescheiterten und gekreuzigten Messias. Er wanderte nicht mit ihm durch Galiläa. Er stand nicht am Straßenrand und huldigte dem König aus dem Hause Davids, als der in Jerusalem einzog, um die Macht zu

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