Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
hatte bereits eingesetzt.
Ich werde dich rächen, Luca!, schwor ich meinem Vater. Ich werde deinen Mörder finden und zur Strecke bringen. Wer auch immer es ist, ich werde ihn vernichten!
Ganz zart strich ich ihm über die kalte Stirn und betrachtete sein asketisch schmales Gesicht.
Wo bist du, Luca? In der Hölle? Ertrage die Qualen des Feuers wie ein Märtyrer! Sei standhaft! Und hoffnungsvoll! Ich werde alles tun, um dich zu retten! Ich werde für dich kämpfen! Du wirst das Königreich der Himmel sehen!
Trauer hätte ich empfinden sollen, Verzweiflung und Schmerz. Doch in mir war nichts als Verbitterung und Zorn.
Als ich sechzehn war, hatte Papst Eugenius meinen Großvater Marcantonio Colonna auf dem Campo dei Fiori enthaupten lassen. Ich hatte zugesehen, wie sein blutiger Kopf der bestürzten Menge gezeigt und dann auf entwürdigende Weise in einen Korb geworfen worden war. Auch zwei meiner Cousins, Lionello und Giordano Colonna, waren an diesem düsteren Tag hingerichtet worden. Einige Monate später wurde Stefano Colonna ermordet. Kardinal Prospero, nunmehr das Familienoberhaupt der Colonna, floh aus Rom, bevor ihn dasselbe Schicksal ereilte. Im Laufe der letzten acht Jahre starben so viele meiner Verwandten unter der Folter, auf dem Schafott, im Kerker der Engelsburg oder fielen bei der Verteidigung unserer starken Festungen rund um Rom.
Weiß Gott: Mein Vater war nicht das erste Blutopfer in diesem Kampf um die Macht in Rom! Doch Luca musste sterben, obwohl nicht er den Papst aus Rom vertrieben hatte. Obwohl nicht er dessen Neffen, Kardinal Francesco Condulmer, den Vizekanzler der Kirche, wochenlang auf dem Kapitol gefangen gehalten hatte. Obwohl nicht er »Volk und Freiheit!« und »Tötet den venezianischen Papst!« brüllend in Rom die Republik ausgerufen hatte. Obwohl nicht er gegen Giovanni Vitelleschi, den Teufelskardinal mit der blutgetränkten Soutane, gekämpft und die Burgen der Colonna mit seinem Leben verteidigt hatte.
Seine Hoffnung auf Frieden hatte Luca, der ›Richter Gottes‹, den Papst Eugenius so seht fürchtete, niemals aufgegeben. Und nun war Luca tot.
O ja, ich war zornig!
Wer, zum Teufel, hatte den Befehl gegeben, meinen Vater zu ermorden?
Mit geballten Fäusten wandte ich mich zu den anderen um: »Sagt mir, Vittorino: Was ist passiert?«
»Nachdem Luca nach seiner Rückkehr aus Neapel Euren Brief gelesen hatte, schloss er sich zwei Tage lang in seinem Arbeitszimmer ein. Dann hat er den No...«
»Mein Vater war in Neapel?«, fragte ich bestürzt. »In der Woche vor Weihnachten. Wegen der Konstantinischen Schenkung wollte er mit Lorenzo Valla sprechen.«
»Was hat er Euch gesagt?«
»Lorenzo Valla will ein Traktat veröffentlichen, in dem er die Schenkung Kaiser Konstantins an Papst Silvester I. als Fälschung entlarvt. Ihr kennt ihn: Als intellektueller Gladiator scheut er keinen Kampf mit dem Papst. So wie Luca.
Das Konzil von Basel hat Eugenius seines Amtes enthoben. Mit seinem Traktat wird Lorenzo dem abgesetzten Papst den Todesstoß versetzen! Keine Schenkung - keine weltliche Macht! Keine Gewaltherrschaft durch Kardinal Vitelleschi in Rom und keine Verfolgung Eurer Familie, der Colonna. Kurz vor Weihnachten ist Luca nach Neapel aufgebrochen, um eine Veröffentlichung des Traktats zu verhindern.«
Ich nickte beunruhigt, tastete nach dem holzgeschnitzten Chorgestühl an der Wand der Kapelle und setzte mich. Meine Knie zitterten.
Einer Schlacht der Worte war Lorenzo Valla nie ausgewichen. Er liebte die Wahrheit, doch noch mehr den Ruhm. Und so warf er sich auf jedem Schlachtfeld in den Kampf, machte sich scharenweise Feinde und genoss seine Berühmtheit als Häretiker und intellektueller Märtyrer.
Nach seinem Studium wurde Lorenzo mit vierundzwanzig Professor in Pavia, wo er mit seinen Schriften die Gelehrten gegen sich aufgebracht hatte. Er verhöhnte die mönchischen Tugenden und schrieb, dass Huren der Menschheit nützlicher seien als Nonnen. Doch nicht nur mit den Mönchen hatte er sich angelegt. Als er Quintilians lateinischen Stil über den von Cicero stellte, hatte er sämtliche Latinisten gegen sich aufgebracht, die Cicero wie einen Halbgott verehrten. Als er Platon und Aristoteles von ihren Marmorsockeln stieß und das Bestreben der Humanisten verhöhnte, Christentum und antike Philosophie in Einklang zu bringen, hatten die Philosophen und Theologen hinter ihm her gekläfft - und bald auch die Kardinäle, die er mit seinen boshaften Spottversen
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