Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
verließen das Wäldchen und galoppierten die Straße entlang in Richtung Süden. Der wabernde Nebel, der im Licht der aufgehenden Sonne rotgolden glühte, wurde dichter, je näher wir Florenz kamen. Die Bäume am Wegesrand verwandelten sich in geheimnisvolle Schatten aus Schnee und Eis. Der gefrorene Pfad war kaum noch zu erkennen. Doch mit halsbrecherischer Geschwindigkeit galoppierten Tayeb und ich weiter. Der Gedanke an Luca trieb uns vorwärts.
Noch fünf Meilen.
Links stürzte ein steiler Abhang in die Tiefen eines bewaldeten Tals. In einer weiten Kehre bog die Straße nach links ab und wand sich um einen bewaldeten Hügel herum. Hinter der Anhöhe lag Florenz. Jetzt ging es steil bergab. Wir mussten vorsichtig sein, damit die Pferde auf dem gefrorenen Boden nicht ausglitten und stürzten. Eine Spitzkehre nach rechts, dann weitet an der steilen Flanke der Höhen durch ein weites Tal, das direkt auf Florenz zuführte. Die Stadt war im dichten Nebel immer noch nicht zu sehen. Noch drei Meilen.
Schweigend rasten Tayeb und ich nebeneinander die Straße entlang. Unsere Gedanken flogen uns voraus: Was würde uns zu Hause erwarten? Luca war nur wenige Stunden vor uns angekommen.
Der Wald war Obstplantagen gewichen - wir hatten das Tal des Arno erreicht. Die Straße nach Florenz war nun breit und gepflastert, und die ersten Häuser außerhalb der Stadtmauern tauchten aus dem Nebel auf. Jetzt war es nicht mehr weit!
Wenig später erreichten Tayeb und ich das nördliche Stadttor. Die Porta San Gallo wurde für die bevorstehende Rückkehr des Papstes in seine Stadt geschmückt. Mit seinen Verzierungen aus Pappmache gemahnte es mehr an einen Triumphbogen auf dem Forum Romanum als an ein Stadttor.
Hinter dem Tor trabten wir die Via Larga entlang, die bereits für den Einzug des Papstes am nächsten Tag herausgeputzt wurde. Wie ein sieggekrönter Feldherr würde Eugenius in Florenz einziehen, und ich fragte mich, was er denn eigentlich gewonnen hatte? Nach den Worten von Basilios Bessarion war die Kirchenunion ferner denn je ...
Die Via Larga war mit Siegesbögen und bunten Fahnen aufwändig geschmückt. Überall prangten die Farben der Medici und der Condulmer, der Familie des venezianischen Papstes. Prächtige Seidengobelins und kostbare Teppiche hingen aus den Fenstern der Palazzi. Überall wurde Schnee gefegt, gewerkelt, geputzt und geschmückt. Die Florentiner liebten und verehrten ›ihren‹ Papst.
Auf der Piazza vor dem Kloster San Marco war unter einem Baldachin ein Altar errichtet worden. Fra Antonino stand nicht weit entfernt. Er sprach mit einem Mönch in schwarzem Gewand. Ein Benediktiner? Nein, er trug denselben Habit mit weißem Stehkragen wie Basilios Bessarion bei unserem Abendessen in Ferrara. Er war ein Basilianer. Rabbi Natanael hatte mir erzählt, dass Niketas von Athen sich nach San Marco zurückgezogen hatte. Fra Antonino machte ihn auf mich aufmerksam. Unsere Blicke trafen sich. Niketas wirkte ernst und traurig. Und sehr blass.
Ich wandte mich ab und folgte Tayeb. Schließlich erreichten wir den Domplatz, wo Handwerker zwischen dem Baptisterium und der Kathedrale Tribünen für den Empfang des Papstes und des Kaisers bauten. Ungeduldig zügelte ich mein Pferd.
Auf der Piazza herrschte ein ähnliches Chaos wie vor zwei Jahren, als Pippo Brunelleschi die Domkuppel fertiggestellt hatte und seine hölzernen Gerüste und Lastaufzüge abbaute. Nur der Hebekran ganz oben auf der Kuppel war nicht entfernt worden: In den nächsten Jahren wollte Maestro Pippo die noch fehlende Laterne aus Marmor auf der Kuppel errichten.
Schließlich erreichten wir den Palazzo d'Ascoli.
Ich erschrak: Das Portal war verschlossen!
Tayeb erwiderte meinen zutiefst besorgten Blick.
Das Tor wurde nur nachts geschlossen. Oder wenn Gefahr drohte - wie im September 1433, als Rinaldo degli Albizzi und seine schwer bewaffneten Gefolgsleute Cosimo im Palazzo della Signoria gefangen nahmen und in den Turm sperrten, um ihn hinrichten zu lassen. Luca hatte sich damals in seinem Palazzo eingeschlossen, um das Leben seines Freundes gebangt und gebetet, ich möge bald aus dem Palazzo Strozzi zurückkehren, wohin ich während der Unruhen geflohen war.
Um Gottes willen! Was war geschehen?
Ich sprang aus dem Sattel, reichte Tayeb die Zügel meines Pferdes und hämmerte mit beiden Fäusten gegen das Portal.
Nichts geschah. Wo war der Torwächter?
Eine furchtbare Ahnung überfiel mich. Ich sah Tayeb in die Augen: Auch er hatte
Weitere Kostenlose Bücher