Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
bedachte.
Da sein Leben bedroht wurde, war Lorenzo von Pavia nach Mailand geflohen, weiter nach Genua und Rom und schließlich nach Neapel, wo eine bemerkenswerte Freiheit des Wortes herrschte. Die Gelehrten konnten mit zum Kampf gespitzter Feder gegen Kirche, Glaube und Philosophie schreiben, ohne zu Märtyrern zu werden.
König Alfonso von Aragon, der Anspruch auf den Thron von Neapel erhob, hatte dem Papst den Krieg erklärt und unterstützte offen das Konzil von Basel, das den Pontifex im letzten Jahr abgesetzt hatte. Wenn also sein geschätzter Sekretär Lorenzo Valla die Konstantinische Schenkung als Fälschung bezeichnete und damit das Fundament der Macht der Kirche untergrub, fand die Veröffentlichung des Traktats gewiss seine Unterstützung.
Schon der deutsche Kaiser Otto III. hatte die Schenkung geleugnet, Dante Alighieri hatte ihre staatsrechtliche Unmöglichkeit nachgewiesen, der deutsche Gelehrte Nikolaus von Kues hatte sie vor sieben Jahren als dilettantische Fälschung entlarvt. Trotz allem war die Schenkung von den Rechtsgelehrten der Kirche als echt anerkannt worden.
Aus Lucas Korrespondenz mit Lorenzo wusste ich, was er in seinem Traktat zu schreiben beabsichtigte: dass die Schenkung nie gemacht worden war, noch überhaupt gemacht werden konnte. Weder habe Kaiser Konstantin das Reich verschenken dürfen, noch habe Papst Silvester die Schenkung annehmen können. Papst Eugenius besitze also weder ein Recht auf die Stadt Rom - sprich: Vatikan, Lateranpalast und Engelsburg! - noch auf das Patrimonium Petri als weltlichem Staat. Vom unrechtmäßigen Besitz kaiserlicher Insignien wie der Tiara oder dem päpstlichen Primat über die orthodoxen Patriarchate ganz zu schweigen! In seinen Briefen nahm Lorenzo Valla kein Blatt vor den Mund und nannte die päpstliche Macht ›eine Regierung von Henkern‹ - womit er Giovanni Vitelleschi meinte, den Kardinal des Teufels!
Kein Wunder, dass Luca nach Neapel aufgebrochen war. Cosimo wollte das Konzil nach Florenz holen. Dem abgesetzten Papst drohte ein Prozess wegen Häresie. Und Ioannis war der Rechtsnachfolger Konstantins, der die Schenkung nie gemacht hatte. Der Kaiser brauchte die Kirchenunion und das Bündnis mit dem Papst, um einen Kreuzzug gegen den Sultan zu führen, der Byzanz bedrohte, die letzte Bastion der Christenheit im Osten.
Mein Gott, was stand alles auf dem Spiel!
Vittorino hatte mich besorgt beobachtet. »Als Luca von Neapel nach Florenz zurückkam, fand er Euren Brief aus Alexandria. Er hat ihn sehr verstört. Zwei Tage lang hat er sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und kein Wort mit uns geredet. Dann ließ er Marco Vespucci rufen.«
»Den Notar?« Vespucci arbeitete für das Medici-Unternehmen. »Was hatte er mit ihm zu besprechen?«
»Ich glaube ...« Vittorino senkte den Blick.
»Was?«
»Ich glaube, dass Euer Vater sein Testament geändert hat. Vespucci war zwei Stunden lang bei ihm im Studiolo. Am nächsten Morgen brach Luca überraschend nach Ferrara auf, um mit Papst Eugenius zu sprechen ...«
Luca hatte sein Testament geändert?
»... und erst gestern Abend kurz vor Sonnenuntergang kehrte er zurück. Drei Stunden nach ihm traf ein erschöpfter Bote mit einer Nachricht von Kardinal Cesarini ein.«
Ich nickte beunruhigt. »Ich habe ihn vorgestern getroffen, als Tayeb und ich den Papsttross überholten.«
Cesarini hatte mich gewarnt, dass Lucas Leben in Gefahr war: Das Konzil von Basel plane, Eugenius als Häretiker zu verdammen und sich einen neuen Papst zu wählen.
Mein Vater hatte sein Testament geändert!
»Luca war sehr ernst, nachdem er den Befehl gegeben hatte, das Portal zu schließen. Kein Wort hat er mit uns geredet.«
Alexios ergriff das Wort: »Ich habe Luca das Abendmahl in sein Arbeitszimmer hinaufgebracht. Als ich ihm Wein einschenkte, las er den Brief, den Ihr ihm aus Alexandria geschickt hattet. Vor ihm lag ein Pergament, das ganz von Blut durchtränkt war, die Nachricht von Kardinal Cesarini und ein Schreiben von Kardinal Colonna.«
Ein Brief von Prospero?, fragte ich mich beunruhigt. Was hatte mein Cousin geschrieben? Wo war er? In Venedig? Oder noch in Basel?
»Zuerst dachte ich, Luca hätte mich nicht bemerkt, aber als ich sein Arbeitszimmer verlassen wollte, bat er mich, seinen Kammerdiener anzuweisen, die Reisetruhen zu packen«, fuhr Alexios fort. »Ich war überrascht. Luca war noch keine drei Stunden in Florenz und wollte schon wieder aufbrechen.«
»Wohin wollte er?«
»Nach Basel.
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