Der vergessene Strand
was du an Gepäck hast?» Er zeigte auf die Reisetasche neben ihren Füßen.
«Im Auto sind der Koffer und meine Schreibsachen.»
«Die holen wir später. Hast du Hunger? Ich hab schon gegessen, aber vielleicht findet sich ja noch ein Sandwich.»
Sie nickte. Tatsächlich hatte sie plötzlich großen Hunger, nachdem die Angst von ihr abgefallen war, er könnte nicht zu Hause sein oder sich irgendwie komisch verhalten, weil sie sich in den letzten drei Wochen gar nicht gemeldet hatte.
In der Küche sank sie auf das blaue Sofa, und es war einen Moment lang so, als wäre sie gar nicht weg gewesen. Auf dem Balkon flackerte eine Kerze. Sie entdeckte dort draußen in der Dunkelheit eine Weinflasche und zwei Gläser.
«Hattest du Besuch?»
«Was?» Er folgte ihrem Blick, schüttelte zerstreut den Kopf und erklärte dann: «Ein Freund. Ist vor einer halben Stunde gegangen.»
Nur ein Freund. Natürlich hatte Dan Freunde, ein Leben. Er war mehr als nur ihr Retter in der Not.
Er kochte ihr Tee, strich Sandwichs und stellte eine Schüssel mit Salat auf den Tisch, die er aus dem Kühlschrank hervorzauberte. Amelie wärmte sich die Hände am Teebecher und wartete, bis dieses Zittern nachließ, das sie in dem Moment gepackt hatte, als sie ihm wieder gegenüberstand.
Aber es wollte nicht verschwinden. Es hatte sich festgesetzt, und weder der Tee noch die warmen Decken würden dieses Zittern vertreiben können. Sie spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen.
So sehr hatte sie ihn also vermisst.
Und sie wünschte sich, dass auch er sie vermisst hätte, dass er abends mit einem Freund auf dem Balkon gesessen und ihm erzählt hätte, dass es ein deutsches Mädchen gab, das in seinem Leben aufgetaucht war und es gehörig durcheinandergebracht hatte.
«Ist hier alles in Ordnung?», fragte sie mit brüchiger Stimme, weil sie sich nicht traute, danach zu fragen.
«Was?» Er wirkte plötzlich, als wären sie nicht im selben Raum. Wie weit entfernte, umeinanderkreisende Sterne. Mechanisch richtete er die Sandwichs auf dem Teller, stellte ihn vor Amelie auf den Tisch und setzte sich endlich zu ihr. Stand noch mal auf, holte sein Weinglas vom Balkon und die leere Flasche.
«Ob alles in Ordnung ist.»
«Ja, ja, alles bestens.» Er schaute auf die Uhr. Was machte ihn nur so nervös?
Sie hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, als sei sie hier willkommen. Ihr wurde übel.
Wie gut, dass sie ihn nicht gefragt hatte, ob er sie vermisst hätte. Er hätte sie belügen müssen, oder er hätte die Wahrheit gesagt. Und ob sie die im Moment vertrug, wusste sie nicht.
Wenige Tage in seinem Haus begründeten nun mal keine Freundschaft. Wäre dieses Wiedersehen anders verlaufen …
Sie trank den Tee viel zu hastig und verbrannte sich dabei die Zunge. Rasch stopfte sie sich ein Sandwich in den Mund, zu mehr konnte sie sich partout nicht aufraffen. Dieses Gefühl, nicht willkommen zu sein, manifestierte sich mit jeder Sekunde Schweigen mehr.
«Ich geh vielleicht lieber zu Mathilda», sagte sie leise.
Er stand auf und räumte den Tisch auf. Seine Augen wichen ihrem Blick aus, und er machte nur «hm», nicht bedauernd, sondern eher, als wüsste er nicht mal, ob er dazu eine Meinung hatte.
Vermutlich hatte er auch an sie gedacht, ja. Aber nicht so, wie sie an ihn gedacht hatte.
In dem Moment drehte sich ein Schlüssel in der Wohnungstür. Amelie hatte sich gerade erst erhoben und verharrte. Sie blickte Dan an, doch der wandte sich einfach von ihr ab, als habe er nicht gehört, dass jemand seine Wohnung betrat.
«Oh, hallo.»
Sie war schlank, blond und wunderschön. Natürlich. Die perfekte Frau für ihn. Nicht groß, aber eben in allem, was sie war, perfekt. Die Locken zu einem lässigen Knoten im Nacken geschlungen, das zarte Gesicht so dezent geschminkt, dass es kaum auffiel. Ein helles Etuikleid, flache Sandalen. Die Sonnenbrille in der Hand, eine kleine Tasche in der anderen. «Ich wusste nicht, dass wir noch Besuch haben würden.»
Wir.
«Ich wollte ohnehin gerade gehen.» Hastig stand Amelie auf. Ihre Wangen brannten, und einen Moment lang war ihr schwindelig. Passierte das wirklich gerade?
Wie dumm von ihr.
Natürlich war ein Mann wie Dan nicht allein. Und wenn er es war, blieb er es nicht lange.
Sie schob sich mit einem entschuldigenden Lächeln an der anderen vorbei, die sofort Platz machte. Im Flur war sie kurz orientierungslos, dann packte sie ihre Reisetasche und steuerte die Wohnungstür an.
«Sie sind die Deutsche, nicht
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