Der vergessene Strand
fände nichts schlimmer, als mich in Zukunft von dir fernhalten zu müssen», fuhr sie fort. «Ich weiß nicht, ob ich nach Berlin zurückgehe oder ob ich in den nächsten Jahren hier sein werde. Ich will nicht ständig auf der Hut sein müssen, weil ich dir über den Weg laufen könnte.»
«Das brauchst du auch nicht», erwiderte er schließlich. «Für mich gibt es keinen Grund, weshalb du dich irgendwie fernhalten solltest.»
«Felicity sieht das vielleicht anders», sagte sie leise.
«Das hat sie aber nicht zu entscheiden.»
«Ihr seid verheiratet.» Sie blickte zu ihm auf. Flehend. Bitte, sag jetzt nicht, das sei deshalb egal, weil du dir eine Affäre vorstellen könntest. Bitte, sag jetzt nicht, du willst sie hintergehen, weil das so viel einfacher ist, als ihr treu zu sein.
Oder einen klaren Schnitt zu machen.
Aber wollte er das überhaupt? Und woher kam bei ihr denn der Gedanke, es könnte mit Dan eine Zukunft geben? Mehr als zwei, drei Nächte im selben Bett hatten sie nicht.
Und dieses bohrende Gefühl, wenn er nicht bei ihr war. Dieses fiebrige Sehnen, das sie in den letzten Wochen nicht mal in Berlin losgelassen hatte.
Sie hatte immer gedacht, es sei Pembroke, das ihr wie ein Stachel im Fleisch saß, das ihr alles abverlangte und sie um den Schlaf brachte. Doch jetzt saß sie bei Dan am Küchentisch, wie schon früher, und in ihr war endlich alles ruhig. Obwohl sie erst heute erfahren hatte, was ihrer Familie vor so vielen Jahren zugestoßen war. Obwohl sie jetzt all die unsichtbaren Narben sehen konnte, die bis in ihr eigenes Leben hineingewirkt hatten, ohne dass sie davon wusste. All das hätte sie in Aufruhr versetzen müssen, aber stattdessen war sie hier.
Und alles war gut für den Moment. Später, wenn sie ging, würde das bohrende Sehnen wieder in ihr wühlen. Aber nun war sie bei Dan.
«Nicht jede Ehe ist in Stein gemeißelt», sagte er leise. «Das wirst du bestimmt auch eines Tages feststellen.»
Das Schlimme war ja, dass sie schon vor der Hochzeit hatte erfahren müssen, wie fragil ihre Beziehung zu Michael war. Sie hatte eine Zeitlang gedacht, wenn sie diesen Seitensprung verschmerzte, wenn sie ihm das verzieh, konnte sie beide in den kommenden Jahren nichts mehr erschüttern. Aber dann war Sabina wiederaufgetaucht, mit einem Ultraschallbild und dem Kind im Bauch, das Michael sich so sehr von Amelie gewünscht hatte.
«Ich bin nicht die Frau, die sich dazwischendrängt.»
«Vielleicht ist aber dazwischen so viel Platz, dass man sich nicht drängen muss.»
Er sah sie unverwandt an. Amelie musste den Blick abwenden. Wieso tat er das mit ihr?
«Du könntest einfach fragen.»
«Was fragen?»
«Wie es um meine Ehe bestellt ist. Sie hat eine eigene Wohnung, das weißt du. Macht dich das nicht stutzig?»
Nein, machte es nicht. Felicity war eine dieser Frauen, die allein wunderbar zurechtkamen. Anders als Amelie, die mit dem Alleinsein jeden Tag aufs Neue haderte, war das für Felicity ein Kinderspiel. Oder bildete sie sich das nur ein?
«Ihr wirkt sehr glücklich», murmelte Amelie.
«Ja, weil wir alles geklärt haben. Weil wir seit zwei Jahren getrennt leben. Und weil wir uns so gut verstehen», fügte er hinzu, «zumal sie ohnehin ständig unterwegs ist.»
«Aber warum lasst ihr euch dann nicht scheiden?» Sie schaute hoch. Die ganze Zeit beobachtete er sie, und das machte Amelie verlegen.
«Weil es für mich bisher keinen Grund gab, und für sie auch nicht. Weil wir … keine Ahnung. Weil wir es irgendwie vernachlässigt haben als etwas, das man nicht zu tun braucht, solange es nicht unbedingt nötig ist. Für mich ist das jetzt anders. Glaube ich.»
«Das kannst du nicht wissen», erwiderte Amelie schwach.
«Ob es nötig ist? Schaden kann’s jedenfalls nicht. Möchtest du, dass ich mich von Felicity scheiden lasse, Amy?»
Sie antwortete nicht sofort.
«Denn dann mach ich das. Sobald sie aus China zurück ist, bekommt sie die Papiere, und wir lösen diese Ehe auf. Danach werde ich für dich sorgen, wenn du das willst.»
«Warum?», fragte sie schließlich.
«Weil du da bist. Weil ich mich ganz fühle, wenn du neben mir schläfst. Weil ich dich auf meiner Schwelle gefunden habe und sofort dachte, dass ich diese Frau nicht gehen lassen darf. Weil du hierhergehörst. Nach Pembroke.»
«Ich gehöre nicht nach Pembroke», widersprach sie lahm.
«Wohin denn dann?», wollte Dan wissen.
Sie wusste keine Antwort.
«Bleibst du heute Nacht hier? Ich lass dich nicht fahren so
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