Der vergessene Strand
ja – er ist ja recht freigebig mit seiner Zeugungskraft. Wäre jetzt nicht mein Argument, mich für ihn zu entscheiden. Eher im Gegenteil.»
«Aber ich wäre versorgt. Ich müsste mir nicht den Kopf zerbrechen, woher ich im nächsten Monat das Geld für Windeln und Märchenbücher nehme.»
Diana grinste, und auch Amelie spürte, wie ihr leichter ums Herz wurde, obwohl das Thema so ernst war. Das machte ihre beste Freundin mit ihr: Sie brachte Amelies Humor zum Vorschein und ließ sie für den Moment vergessen, wie ernst ihre Lage im Grunde war.
«Er müsste Unterhalt fürs Kind zahlen.»
«Ich will aber nicht von seinem Geld abhängig sein.»
«Ist ja auch nicht mehr sein Geld, wenn es auf deinem Konto liegt.»
Amelie seufzte.
«Außerdem, wo ist der Unterschied? Unglücklich mit ihm zusammen und von seinem Geld abhängig oder glücklich allein?»
«Ich weiß eben nicht, ob ich allein so glücklich wäre.» Amelie kaute auf der Unterlippe. Sie war zeit ihres Lebens nie lange allein gewesen, und deshalb wusste sie tatsächlich nicht, was das mit ihr machte. Wollte sie sich deshalb sofort in Dans Arme werfen? War sie in Wahrheit eine dieser Frauen, die nie für sich selbst verantwortlich sein wollten?
«Ach, das kannst du. Und glaub mir: Du wirst es genießen. Es gibt nichts Schöneres.»
Diana war eine überzeugte Alleinlebende. Wenn eine Beziehung drohte, ernst zu werden und länger als einen Sommer zu halten, blieb sie auf Abstand. Mit einem Mann zusammenzuziehen, das kam für sie nicht in Frage.
«Meine Mutter hat mich allein großgezogen.»
«Und, hast du irgendwas vermisst?»
Amelie zuckte mit den Schultern. Wie sollte sie Diana nur erklären, dass sie all die Jahre etwas vermisst hatte, ohne zu wissen, was es war? Nachdem sie von ihrem großen Bruder erfahren hatte, fühlte sie sich irgendwie – ganz. Wie ein Puzzle, das kurz vor der Vollendung stand.
«Meinen Bruder hab ich vermisst», sagte sie schließlich, obwohl sie fürchtete, von Diana ausgelacht zu werden.
Doch ihre Freundin tätschelte ihr mitfühlend den Arm. «Ich weiß», sagte sie leise. «Wahrscheinlich wirst du ihn jetzt immer vermissen.»
Das Gespräch mit ihrer Mutter stellte Amelie vor mehrere Herausforderungen.
Erstens: Ihre Mutter hatte bisher jede Frage nach der Vergangenheit geschickt umschiffen können. Vermutlich würde sie auch heute nicht mit sich reden lassen.
Zweitens: Manchmal schaffte sie es, dass Amelie sich wieder wie ein kleines Kind fühlte. Inzwischen war sie aber alt genug, um zu wissen, was gut für sie war und was nicht.
Und drittens, vielleicht das Schwierigste an diesem Gespräch: Amelie wollte eigentlich gar nichts über diese Affäre hören, nichts über ihren leiblichen Vater. Hätte sie bloß nicht nachgeforscht! Sie fühlte sich innerlich ganz wund, zerschunden und voller blauer Flecke. Der Schmerz in Davids Blick, die Verletzlichkeit, wenn er den vierten Whiskey in Folge kippte, weil sie bei ihm die alten Wunden wieder aufriss … Das alles hatte er nicht verdient. Und es mochte ihr schwerfallen, ihrer Mutter die Schuld an allem zu geben. Aber Reginald war für sie eine unbekannte Größe. Sie kannte ihn nicht. Da fiel es leicht, ihn zu hassen.
Ihr Herz klopfte, als sie bei ihrer Mutter vor der Tür stand. Sie hatte ihren Besuch nicht angekündigt, sie wollte die unmittelbare Reaktion sehen.
Als ihre Mutter die Tür öffnete, hellte sich ihr schmales Gesicht sofort auf. «Es ist Amelie!», rief sie, als gebe es noch jemanden, den das interessieren könnte. Und als Amelie ihr ins Wohnzimmer folgte, saßen dort zwei ihrer Freundinnen auf dem Sofa, Kuchenteller auf dem Schoß und Kaffeetassen auf dem Couchtisch.
«Entschuldigt, meine Lieben. Ob wir uns auf nächste Woche vertagen können? Das hier ist wichtig, ich hab meine Tochter ein paar Wochen nicht gesehen. Wir haben viel zu bereden.»
So schnell hatte Mama ihre Freundinnen noch nie hinauskomplimentiert, schon gar nicht für sie. Keine fünf Minuten später waren sie allein, und Amelie sank aufs Sofa. Sie war müde. Ihre Mutter flatterte aufgeregt um sie herum.
«Willst du Kaffee? Ach nein, bestimmt trinkst du keinen, oder doch? Ich hab mich schlau gemacht, Kaffee ist gar nicht so schlimm, oder man weiß es nicht so genau, jedenfalls schadet er nicht, und wenn die werdende –»
«Mama», unterbrach Amelie sie gereizt.
«Ja?» Ihre Mutter blickte auf. In ihren Händen hielt sie die halbvollen Kaffeetassen.
«Ich muss mit dir
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