Der vergessene Strand
Jugendlichen, die sich vor dem Rathaus versammelt hatten. Der perfekte Abend.
«Felicity und ich kennen uns seit Schulzeiten», begann Dan irgendwann.
Amelie schloss die Augen. «Ich glaube, ich will das nicht hören», sagte sie leise. «Für heute hab ich genug Geschichten gehört.»
Er schwieg verletzt.
Die gute Stimmung war dahin, das merkte sie. Eine Viertelstunde später stand sie auf, faltete die Decke zusammen und verließ den Balkon. Dan folgte ihr nicht, und sie verabschiedete sich auch nicht von ihm, ehe sie die Wohnungstür hinter sich ins Schloss zog.
Drei Tage später fuhr sie heim. Für die Dauer ihrer Abwesenheit bat sie Jon, sich um das Strandhaus zu kümmern.
Er fragte nicht, wie es ihr bei David ergangen war. Entweder hatte er zwischenzeitlich mit seinem Sohn gesprochen, oder ein Blick in ihr müdes Gesicht genügte ihm, um ihr Nachfragen zu ersparen.
Berlin begrüßte sie mit stickiger Hitze und einem Problem, über das sie vorher nicht nachgedacht hatte. Wo sollte sie schlafen – bei Michael oder bei ihrer Mutter? Beides schien ihr nicht gerade angenehm.
Aber manchmal spielte das Leben eben doch mit. Sie machte unterwegs ein letztes Mal Pause und entdeckte beim routinemäßigen Blick auf ihr Handy eine Nachricht von Diana.
Bin seit zwei Tagen wieder in B. Hab den Jetlag. Kommst du bald mal wieder her?
Sie rief sofort an.
Diana klang verschlafen, aber als Amelie erklärte, sie wisse nicht, wo sie in den nächsten Tagen schlafen solle, war ihre Freundin sofort munter. «Komm vorbei, zur Not packen wir uns gemeinsam in mein Bett.»
Also fuhr sie zuerst zu Diana. Nicht zu ihrer Mutter, nicht zu Michael. Beiden schrieb sie nur kurz eine Nachricht.
Bin hier, komme morgen.
Den einen Tag Gnadenfrist wollte sie sich gönnen.
Diana war aufgekratzt wie eh und je. Sie riss die Wohnungstür auf, fiel Amelie kreischend um den Hals, hielt sie dann auf Armeslänge von sich weg und musterte sie von oben bis unten. Wobei sie die Körpermitte besonders interessiert betrachtete, aber da gab es noch nichts zu sehen.
Für Amelie war das Wiedersehen mit der besten Freundin ein kleiner Schock. Diana trug die Haare jetzt raspelkurz und lila gefärbt. Im Nasenflügel steckte ein neues Piercing, und die ehemals bunten Klamotten waren einer schwarzen Kluft aus Röhrenjeans – konnte sie gut tragen – und Trägertop gewichen. Sie war barfuß. Auch das war neu. Sonst sah man Diana nicht mal im Hochsommer barfuß oder ohne Socken in den Schuhen.
Das Leben hatte sie also beide verändert. Dass auch Amelie eine Wandlung durchgemacht hatte, sagte ihr Diana nach einer halben Stunde.
«Du bist so ungnädig», erklärte sie. Die Macchinetta brodelte auf dem Herd in ihrer kleinen, rosaweißen Küche, sie wärmte Milch auf und schäumte sie von Hand. «Oh, darfst du überhaupt was mit Koffein?»
«Ein bisschen schadet wohl nicht», fand Amelie.
«Gute Entscheidung. Bei Alkohol werde ich aber streng, hörst du? Meinem Patenkind sollen ja nicht schon vor der Geburt alle Chancen genommen werden.»
«Keine Sorge.» Amelie lachte zittrig. Herrje, es tat so gut, endlich mit einem Menschen reden zu können, der nicht jedes Wort auf die Goldwaage legte, sondern so redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Manchmal brauchte man eben eher ein ehrliches Wort als ein freundliches.
Es gab Kekse und sogar eine kleine Torte, die Diana bei einem Konditor in der Prenzlauer Allee gekauft hatte. Sie gehörte zu den Menschen, die schon seit fünfzehn Jahren in diesem Viertel lebten, doch anders als viele andere «Alteingesessene» schimpfte sie nicht über die «Schwabeninvasion». Das war Diana: leben und leben lassen. Und zwar mit viel Schwung!
Bevor sie auf Amelies Probleme zu sprechen kamen, mussten sie Kaffee trinken und Kuchen essen. Es sollte schon alles seine Ordnung haben, und Diana brauchte einen vollen Magen, ehe sie anfing, Probleme zu wälzen. Dann erzählte sie von ihrem neuseeländischen Schafzüchter.
«Erst hat er mir die Sterne vom Himmel geholt. Dann hat er kalte Füße gekriegt. Und zum Schluss hat er mich nicht gehen lassen wollen. Da hab ich das Weite gesucht.» Diana lachte.
«Das heißt? Wollte er dich gleich heiraten?»
Amelie hatte es nur im Scherz gesagt, doch an Dianas Reaktion merkte sie, dass ihre Freundin bei diesem Thema nun gar keinen Spaß verstand.
«Sozusagen», erwiderte sie, ganz still und klein.
«Und du hast abgelehnt und schleunigst eine halbe Welt zwischen ihn und dich
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