Der vergessene Strand
teuflischer Huf, diese dummen Gänschen.»
Zwei Jahre später erinnerte sich Anne an diesen Morgen. Sie musste ihrer Freundin recht geben, auch wenn es ihr nicht gefiel. Teresa, die so heiter und gelassen eine Verbindung einging, die ihr nur eine stetig wachsende Kinderschar, schlaflose Nächte und ein Leben fernab ihrer einstigen Ideale bescherte, wirkte zumindest zufrieden. Sie trug nun die Verantwortung für ihre Kinder. Es gab Zofen im Haushalt, Kindermädchen, eine Amme, später müsste man einen Hauslehrer für den Ältesten finden und Gouvernanten für das Mädchen. Es fehlte an nichts. Aber wie die Kinder mussten auch die Dienstleute beaufsichtigt werden. Teresa regierte über Küche und Hof, über den bescheidenen, friedfertigen Salon ebenso wie über die Haushaltsbücher.
Teresa war für ein Leben geschaffen, in dem all diese Annehmlichkeiten nicht vorgesehen waren. Ihre Eltern hatten ihr von kleinauf eingebläut, dass es schon ein riesiges Glück sein müsste, wenn sie überhaupt jemand nehmen würde, und deshalb hatten sie der Tochter lieber praktische Kenntnisse mit auf den Weg gegeben. Sie hätte selbst Gouvernante werden können, dafür war sie ausgebildet.
Anne hingegen war auch zwei Jahre später noch immer allein. Sie war auf dem Regalbrett liegen geblieben, beinahe schon eine alte Jungfer. Irgendwas war an ihr, das die Männer verscheuchte, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, um aus den gelegentlichen Besuchen mehr zu machen; keiner wagte es, um ihre Hand anzuhalten. Selbst Lord Cornelius, anfangs noch eifriger Kämpfer und Werber in eigener Sache, verschwand enttäuscht nach Boston, wo er, wie man sich erzählte, ein kleines Vermögen gemacht hatte.
Anne war nur auf die Rolle als Ehefrau vorbereitet worden. Sie war so bereit dazu, dass sie damit jeden verscheuchte. Und sie verstand nicht, was sie falsch machte. Bis sie an jenem schicksalhaften Morgen im Juni des Jahres 1895 beim morgendlichen Ausritt im Park – den sie allein unternahm, obwohl ihre Mutter protestierte – dem Duke of G- begegnete. Wer wen eroberte, wussten beide später nicht mehr so genau zu sagen, doch da er verheiratet war und sie nicht, blieb für beide nur ein Weg – jener, auf dem Anne straucheln und scheitern musste.
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Kapitel 6
E in Mann – ein Engländer, nein, Waliser – durfte nicht so unverschämt gut aussehen.
Amelie hatte keinen Widerstand geleistet, als der Apotheker sie in das kleine Büro hinter der Offizin führte und dort auf ein Sofa schob. Sie hatte die Arme um die Knie geschlungen und zu zittern begonnen.
«Ich mache Ihnen Tee.»
Sie lächelte. Tee … Damit lösten die Leute auf der Insel jedes Problem.
Die Glöckchen über der Eingangstür bimmelten, und er entschuldigte sich für einen Moment und verschwand. Sie hörte ihn mit einer Kundin reden, die über ihr Gelenkrheuma klagte, dann über ihren unhöflichen Schwiegersohn und über das Wetter. Zehn Minuten später kam er zurück.
Amelie hatte sich derweil die Wolldecke, die über der Armlehne des Sofas lag, über die Knie gezogen. Das Zittern hatte nicht nachgelassen, aber sie fühlte sich ein bisschen besser. Eindeutig nicht so krank, dass sie länger bleiben musste. Außerdem war sie mit Cedric zum Mittagessen verabredet.
«Der Tee.» An das Büro grenzte eine Küchennische. Alles war hier so puppenwinzig, und er wirkte darin so groß und völlig deplatziert. Amelie erhob sich hastig. Sie hatte das Regalbord über dem Sofa übersehen und stieß mit dem Hinterkopf dagegen.
«Es geht mir schon viel besser …» Benommen sackte sie zurück aufs Sofa.
Er lächelte nachsichtig. «Zuerst trinken Sie den Tee. Und dann können Sie gern wieder gehen.»
Wieder verschwand er in der Küchennische, klapperte mit einer Teedose und Porzellan. Der Wasserkessel pfiff. War hier denn alles so niedlich und antiquiert, als stammte es aus dem letzten Jahrhundert?
Eins konnte der Herr Apotheker jedenfalls: Tee kochen. Nach der ersten Tasse erwachten Amelies Lebensgeister langsam wieder, und die Ingwerkekse, die er dazu reichte, ließen auch das flaue Gefühl im Magen langsam abklingen.
«Besser?», fragte er, nachdem sie die Kekse allesamt verputzt hatte. Etwas peinlich berührt nickte Amelie.
«Tut mir leid», sagte sie.
«Was, dass Sie mir die Kekse weggegessen haben? Ich hab genug.» Er schenkte ihr Tee nach, und sie seufzte selig. Langsam wurde ihr warm, und das Zittern war nur noch eine ferne
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