Der vergessene Strand
Geschichte mit dieser … wie hieß sie gleich wieder? Simone?»
«Sabina. Wenn du das sagst, klingt’s gerade so, als wäre das schon Jahre her.»
«Ach, Liebes. Irgendwann ist ja auch mal gut. Du hast ihm verziehen, und dann musst du auch bleiben.»
Amelie atmete tief durch. «Ich bin gegangen. Er hat … du hast recht, es ist wegen Sabina. Sie ist schwanger. Fünfter Monat.»
«Oh.» Ihre Mutter ließ die Hände sinken. «Das tut mir leid, Amelie.»
Sie wirkte tatsächlich betroffen. Natürlich hatte Amelie ihr vor vier Monaten alles erzählt, von den Fotos, von ihrem Streit mit Michael und seinem Heiratsantrag. Ihre Mutter war wegen der ganzen Sache sehr aufgebracht gewesen. Gar nicht mal sosehr wegen Michaels Fehltritt. So was passierte eben irgendwann in einer langen Beziehung, und als Frau sollte man am besten über solche Dinge hinwegsehen. Nein, sie fand, er hätte besser aufpassen müssen. Wenn er schon fremdging, hätte er die Sache schnell beenden müssen und dann doch bitte dafür sorgen sollen, dass sich die Geliebte zurückhielt und nicht so einen Wirbel veranstaltete.
Aber mit seinem Heiratsantrag hatte er ja im Grunde schon wieder Abbitte geleistet. Für sie war das Beweis genug, dass er Amelie wirklich liebte.
Für Amelie war es längst nicht so einfach.
Amelie zuckte mit den Schultern. «Muss es nicht. Ist schon komisch, irgendwie hab ich mich in den letzten Wochen so merkwürdig gefühlt. Ich hab keinen Verdacht geschöpft, weißt du? Wir haben einfach weitergemacht wie bisher, und es war alles so normal. Aber in mir war ständig so ein nervöses Kribbeln.»
«Er hat von der Schwangerschaft gewusst?» Susel schüttelte enttäuscht den Kopf. «Ach, Mensch! Liebes, das ist wirklich schlimm. Aber ihr kriegt das doch wieder hin, oder?»
Das wusste Amelie nicht. Nein, eigentlich wusste sie es. Diesmal hatte sie ihre Sachen gepackt.
«Das nervöse Kribbeln hast du von mir, ich hatte das auch schon immer, wenn Unheil droht. Aber gib jetzt nicht auf, hörst du? Ihr passt so gut zusammen.»
Das war so ein typischer Mama-Satz. Amelie versteckte ihr Gesicht hinter dem großen Kaffeebecher und enthielt sich eines Kommentars.
«Ich will nicht um ihn kämpfen müssen, ehrlich gesagt.» Sie atmete tief durch. «Wir wollten schließlich auch Kinder, aber bisher hat’s nicht geklappt. Und jetzt das hier.» Sie hatte den Brief dabei. Zusammen mit dem Ultraschallbild schob sie ihn über den Frühstückstisch. «Sie will ihn. Sie kämpft.»
Ihre Mutter rauchte, las den Brief und würdigte das Ultraschallbild keines Blicks. Für Kinder hatte sie im Grunde nichts übrig; das war schon früher so gewesen. Wie sie es gehasst hatte, wenn Amelie sie Mama nannte! Amelie tat es trotzdem, bis heute.
«Tja, nicht so schön. Aber ihn zu verlassen ist doch auch keine Lösung?»
«Bei ihm bleiben kann ich jedenfalls im Moment auch nicht.»
«Und was hast du dann vor? So ganz auf dich gestellt?»
Amelie wusste, worauf ihre Mutter anspielte. Sie hatte keinen Job, und in den letzten Monaten war Michael für sie aufgekommen.
«Ich hab noch ein bisschen Geld. Ich wollte mal mit meinem Verleger sprechen, vielleicht kann ich einen Vorschuss bekommen. Und dann … Vielleicht mache ich die Recherchereise, die ich mir schon so lange vorgenommen habe.»
«Abstand gewinnen, das ist gut. Danach könnt ihr noch mal in aller Ruhe über alles reden.» Ihre Mutter nickte zufrieden. «Ihr kriegt das schon wieder hin.»
«Was denn?»
«Eure Beziehung. Du wirst doch nicht alles hinwerfen wegen so einer Kleinigkeit?»
Da dämmerte es Amelie. «Das meinst du nicht ernst, oder? Du willst doch nicht etwa andeuten, ich soll zu ihm zurück?»
«Es gibt Schlechtere. Und wenn du ehrlich bist, kannst du doch gar nicht ohne eine Beziehung leben.»
Ehe Amelie antworten konnte, schrillte die Türklingel.
Wie aufs Stichwort.
«Das ist nicht Michael, oder?»
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. «Vielleicht. Kann auch der Postbote sein.» Sie verschwand so schnell im Flur, dass Amelie völlig perplex am Küchentisch zurückblieb.
Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie sitzen blieb. Vielleicht, weil sie hoffte, es sei wirklich der Postbote.
Aber ein Postbote brachte keinen riesigen Strauß Tulpen mit. Und das war das Erste, was sie von Michael sah, dicht gefolgt von seinem braunen Wuschelkopf. An den Schläfen wurde er schon grau. Das fiel ihr heute zum ersten Mal auf.
«Amelie …», begann er leise, aber sie hob nur die
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