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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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meine Hypothesen überprüfen und sehen, ob die Regeln, die ich bisher ableiten konnte, Bestand haben. Wenn meine Voraussagen zutreffen, wäre das eine ausgezeichnete Ausgangslage, um den Versuch einer Entschlüsselung zu beginnen.»
    «Den Versuch zu beginnen …» Jackson leerte sein Ouzo-Glas. «Können Sie nicht endlich mal was tun ? Wie lange werden Sie dazu noch brauchen?»
    «Ich weiß es nicht.» Reeds professorale Leutseligkeit war einem knappen, gereizten Ton gewichen. Marina hatte bei Pemberton manchmal ein ähnliches Phänomen beobachtet, wenn eine neue Idee oder Herausforderung ihn packte. Höflichkeit, Geduld, Takt – all das war wie weggeblasen, wenn sich der Forscher in seine Gedankenwelt zurückzog.
    «Champollion hat zwei Jahre gebraucht, um die Hieroglyphen zu entschlüsseln – und er hatte immerhin den Stein von Rosette als Grundlage.»
    «Zwei Jahre?!» Überall in der Ouzeria blickten Einheimische von ihren Getränken und Spielen auf und starrten zu dem Ecktisch mit den Ausländern hinüber. Jackson senkte die Stimme. «Ihnen ist vielleicht entgangen, was in den letzten zwei Tagen alles passiert ist. Wir haben keine zwei Jahre Zeit. Wenn die Roten hinter uns her sind, bleiben uns wahrscheinlich nicht einmal zwei Wochen. Wir müssen diesen Schild finden und an uns bringen, und zwar schnell, sonst sind wir die Verlierer im letzten Krieg der Menschheitsgeschichte.»
    Alle am Tisch starrten ihn an.
    Jackson wischte sich mit der Serviette den Mund ab; ihm war klar, dass er zu viel preisgegeben hatte. «Sagen wir einfach, wenn die Russen diesen Schild in die Hände bekommen, wollen Sie das ganz sicher nicht miterleben. Sourcelles hat uns praktisch verraten, wo die Weiße Insel liegt. Ich sage, wir fahren sofort hin, bevor Belzig auch dahinterkommt.»
    «Aber die Insel befindet sich auf sowjetischem Territorium», wandte Grant ein.
    «Ein Grund mehr, uns zu beeilen. Wenn die Kommies erst begreifen, dass sie dieses Ding in ihrem Hinterhof haben, bringen sie es nach Moskau, schneller als wir schauen können.»
    Reed schüttelte den Kopf. «Selbst wenn Sie diese Insel erreichen, können Sie nicht einfach zum Achillestempel gehen und an die Tür klopfen. Ohne die Hinweise auf der Tontafel werden Sie ihn nie finden. Grabräuber haben das Tal der Toten auf Kreta seit Jahrhunderten geplündert, aber keiner von ihnen hat je das Heiligtum des Baityl entdeckt, bis Pemberton mit seinem Teil der Tafel daherkam.»
    «Das soll nicht Ihr Problem sein. Wir haben Instrumente, die Element 61 orten können. Wenn der Schild auf dieser Insel ist, werden wir ihn finden.»

    Wieder in seinem Zimmer angekommen, zog Grant sein Hemd aus und wusch sich in dem gesprungenen Waschbecken in der Ecke. Es kam ihm vor, als habe sich der ganze vergangene Tag auf seiner Haut abgelagert wie eine Kruste: türkischer Tabak aus Sourcelles’ silberner Zigarettenspitze; geronnenes Blut von den Wunden, die er sich an der Kante des Glasdaches zugezogen hatte; Ruß von dem Feuer und Schmierfett des Flugzeugs. Er schrubbte den Dreck ab, so gut er konnte, trocknete seine zerschnittenen Hände dann vorsichtig an dem Handtuch ab und ließ sich auf die Matratze fallen. Das Bett war hart und schmal, aber nach dem Tag, den er hinter sich hatte, fühlte es sich himmlisch an. Barfuß und mit nacktem Oberkörper lag er da und genoss den Luftzug auf seiner feuchten Haut.
    Nach einer Weile klopfte es. Er griff mit einer Hand nach dem Webley auf dem Nachttisch. «Es ist offen.»
    Marina erschien in der Tür. Sie war schlicht gekleidet, mit weißer Bluse und einem schwarzen Rock, dessen hoher Bund ihre Taille betonte. Das Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Als sie sah, dass Grant halb nackt war, zögerte sie einen Moment lang, dann kam sie ins Zimmer. Ihre bloßen Füße machten auf dem Dielenboden kaum ein Geräusch. Als sie sich auf die Bettkante setzte, bemerkte Grant die silbrigen Spuren frischer Tränen auf ihren Wangen.
    «Ich muss dauernd an Alexei denken», sagte sie, vielleicht als Erklärung. Dann wandte sie sich Grant zu und schaute ihm in die Augen. «Ist es wahr?»
    «Was davon?»
    «Alles.»
    Grant streckte den Arm aus und streichelte das Haar, das ihr über den Rücken fiel. Er konnte durch die dünne Baumwollbluse ihre Haut spüren. «Das willst du gar nicht wissen.»
    Sie rührte sich nicht. «Sag es mir.»
    «Du erinnerst dich doch noch an den Hinterhalt am Kastro? Die ganze Truppe – Nikos, Sophoklis, Menelaos und die Übrigen –

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