Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
Vom Netzwerk:
stießen mit ihren Gewehren nach ihr und schrien ihr zu, sie solle Roussakis loslassen. Ein heißer Wind wehte über die Lichtung – der Luftstrom von den Propellern der Dakota. Doch die Antwort auf Marinas Frage stand Grant unmissverständlich ins Gesicht geschrieben.
    «Ich habe geschworen, den Mann umzubringen, der Alexei getötet hat», zischte sie.
    Roussakis gab seinen Männern ein Zeichen, sich zurückzuhalten. «Wenn du mich erschießt, stirbst du auch. Und deine Freunde. Dann sterben wir alle.»
    Am anderen Ende der Landebahn vollführte die Dakota eine enge Wendung und machte sich wieder startbereit. Grant konnte den Piloten sehen, der durch die Scheibe des Cockpits nach seinen Passagieren Ausschau hielt. Die Partisanen in ihrer Deckung zwischen den Bäumen mussten für ihn unsichtbar sein.
    «Wenn ich einen bescheidenen Vorschlag machen dürfte?», sagte Muir. Sämtliche Augen – und mehrere Gewehre – richteten sich auf ihn.
    «Sie?» Marina spie das Wort förmlich aus. «Was haben Sie denn zu sagen? Haben Sie vielleicht den Befehl dazu gegeben, Alexei umzubringen?»
    «Ich hatte nichts damit zu tun. Das war Angelegenheit des SOE – ich war beim SIS.» Muir klappte sein elfenbeinernes Zigarettenetui auf und steckte sich eine Zigarette an. «Aber so, wie ich die Situation sehe, könnten wir hier Hamlet spielen und die Sache mit einem Haufen Leichen enden lassen – oder wir können unseren verdammten Verstand einschalten. Alle, die heute hier sterben wollen, sollen sich melden.»
    Er blickte in die Runde, in die harten, zornigen Gesichter der Männer, die sich um sie drängten. «Gut. Nun, Ihr Bruder ist tot, und das ist tragisch für Sie, aber wenn Mr.   Roussakis ihn nicht erschossen hätte, dann hätte es jemand anders getan. Vielleicht sogar Sie selbst, wenn Sie die Wahrheit erfahren hätten. Also wie wäre es, wenn wir einen Handel schließen? Sie lassen Roussakis los, er lässt uns in dieses Flugzeug steigen, und dann können wir uns alle wieder wichtigeren Dingen zuwenden.»
    Marina spannte den Finger am Abzug an. Die Männer schlossen den Ring enger um sie. «Wenn ich dich loslasse, lässt du uns dann in das Flugzeug steigen?»
    «Falls ja, sind wir dann quitt? Dann ist die Sache zwischen uns geklärt?» Roussakis konnte kaum sprechen, so fest hatte sie ihn im Griff.
    «Ja.»
    «Und dann kommen auch keine Yankee-Flieger mehr?»
    Jackson runzelte die Stirn. «Ich kann nicht versprechen –»
    Muir fuhr herum. «Zum Teufel, Jackson. Denken Sie daran, was auf dem Spiel steht.»
    «Okay, okay.» Jackson hob die Hände zum Zeichen, dass er kapitulierte. «Wir rufen die Bomber zurück.» Dann wandte er sich mit einem verächtlichen Kopfschütteln an Roussakis. «Sie werden diesen Krieg nicht gewinnen, das sage ich Ihnen.»
    Marina ließ die Pistole sinken und lockerte ihren Griff.
    Roussakis rieb sich den Hals. «Eine bessere Welt wird kommen. Sie können das nicht ewig verhindern.»

    Sie liefen geduckt durch den Propellerwind und kletterten in die Dakota. Inzwischen war die Sonne hinter den Wolken verschwunden. Auf den oberen Berghängen brannte der Wald noch immer, und das ganze Tal war von einem zähen, goldenen Dunst erfüllt. Reed drückte das Tontäfelchen an die Brust. Marina wandte sich ab und schaute aus dem Fenster, um ihre Tränen zu verbergen.
    «Stellen Sie sich mal vor, was Kurchosow sagen wird, wenn er erfährt, dass seine eigenen Leute uns haben entkommen lassen», triumphierte Jackson. «Bis er sich wieder beruhigt hat, haben wir ihm den Schild schon vor der Nase weggeschnappt.»
    Grant warf ihm einen Blick zu. «Sie werden doch halten, was Sie Panos versprochen haben? Sie werden Ihre Bomber abziehen?»
    «Klar», erwiderte Jackson lässig.
    Das Flugzeug neigte sich zur Seite, flog eine Kurve und nahm Kurs auf Thessaloniki. Grant blickte zurück in der Hoffnung, ein letztes Mal den vergoldeten Himmel zu sehen. Doch die Sonne war verschwunden, und Rauch und Dunkelheit hatten sich über das Tal gebreitet.

FÜNFUNDZWANZIG
    Als sie wieder in Thessaloniki eintrafen, war es bereits dunkel. Ein Dienstwagen holte sie am Flughafen ab und brachte sie in ein kleines Hotel. Es hatte kein Restaurant; die einzige Gelegenheit zum Essen, die sie fanden, war eine schäbige kleine Ouzeria voll alter Männer, die Backgammon und Karten spielten. Der Kellner brachte ihnen ein Tablett mit Oliven und gefüllten Weinblättern, die sie hungrig verschlangen.
    Als die Teller abgeräumt und die Gläser mit

Weitere Kostenlose Bücher