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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Geschlechtsorganen dargestellt. Daher Ihre, ähm, erotisierten Elfen.»
    «Scheint aber ein ziemlich großer Sprung», sagte Grant. «Von einer Innung für Schmiede zu einer Art Freudenhaus.»
    «Keineswegs.» Reed beugte sich vor. «Die Schmiedekunst gehörte zu den geheimnisumwittertsten Fertigkeiten der Antike. Sie wurde eher als eine Art Magie betrachtet denn als Wissenschaft. Der Schmelzofen war nicht bloß eine Feuerstelle, in der man eine chemische Reaktion kontrollierte. Er war ein Portal, Schauplatz eines heiligen Vorgangs, bei dem unscheinbares Erz in lebenswichtige Werkzeuge verwandelt wurde. Ihn ohne angemessene Vorbereitung in Gebrauch zu nehmen wäre ungefähr so gewesen, als würde man in eine Kirche spazieren und sich die Abendmahlshostie und den Messwein einverleiben, bevor der Priester sie geweiht hat. Es gab festgelegte Rituale, um die Werkzeuge vorzubereiten, den Schmied zu reinigen, die alchemischen Mächte der Götter zu beschwören. Und in den Augen der Alten hatte dieser Vorgang große Ähnlichkeit mit der Fortpflanzung.»
    «Weil beides so schweißtreibend ist?»
    «Die heilige Verschmelzung der Elemente des Lebens in den geheimnisvollen Tiefen der Gebärmutter sah man als Entsprechung zur Verschmelzung von Kupfer und Zinn im Schmelzofen. Vergessen wir nicht, wir sprechen von der Bronzezeit – die Kunst der Eisenverarbeitung war noch unbekannt. Hitze, Schweiß, Blut – und natürlich eine stets gegebene Lebensgefahr. In der Sage vermählte sich Hephaistos mit Aphrodite, der Göttin der Liebe, um diese Einheit zu versinnbildlichen. Bis heute wird bearbeitetes Metall in vielen primitiven Kulturen als Fruchtbarkeitszauber benutzt.»
    Dies schien Grants Interesse zu wecken. «In Afrika gibt es die gleiche Vorstellung. In Rhodesien haben wir Öfen gefunden, die mit Darstellungen gebärender Frauen geschmückt waren.»
    «Lebenspendende Schöpfung», stimmte Reed ihm nickend zu. «Metallwerkzeuge bildeten die Grundlage jeglicher Landwirtschaft und Kultur. Ein in der Magie der Metallherstellung bewanderter Mann war mehr als nur ein Techniker oder Handwerker – er war ein Priester, ein Schamane, der Kontakt mit den Göttern unterhielt. Kein Wunder, dass er sich mit Ritualen und Mysterien umgab.» Mit seinen aufgerissenen Augen und den von der Meeresbrise im Hafen zerzausten weißen Haaren ähnelte Reed, der sonst so zurückhaltende Gelehrte, jetzt selbst ein wenig einem Schamanen; so als würden seine blauen Augen in eine alte, magische Vergangenheit starren, um mit ihren Geistern in Kontakt zu treten.
    «Faszinierend», bemerkte Muir und zündete sich eine Zigarette an. «Aber was ist jetzt mit dem verflixten Meteoriten?»
    Kurz schien es, als hätte Reed ihn gar nicht gehört. Dann schüttelte er sich unvermittelt, blickte sich etwas überrascht um und strich sich das zerzauste Haar glatt. «Nun, den wird man natürlich hierher gebracht haben.»
    «Natürlich.»
    «Der Meteorit dürfte fast vollständig aus reinem Metall bestanden haben. Wo also gehörte er eher hin als ins Heiligtum der Kabiren?»
    Muir verengte die Augen. «Bitte sagen Sie mir nicht, dass das ihr einziger Anhaltspunkt ist.»
    Reed zog sein Taschentuch heraus und faltete es auseinander. Zum Vorschein kam eine dreieckige gelbe Keramikscherbe mit rissiger, angestoßener Glasur, doch die Bemalung war noch gut zu erkennen. Von einem gestirnten Hintergrund hoben sich, eingerahmt von brennenden Leuchtern, zwei Figuren in Rot ab. Die eine war groß und bärtig, die andere klein und bartlos, aber beide hielten einen Hammer in der einen und eine Schale in der anderen Hand. Wie von Reed schon angekündigt, waren beide mit einem mächtigen Penis ausgestattet. «Darf ich vorstellen: die Kabiren-Brüder», sagte Reed. «Nette kleine Burschen.»
    «Warum haben sie Schalen in der Hand?»
    «Um Trankopfer zu spenden vermutlich – obwohl die Kabiren in der griechischen Literatur auch als notorische Säufer dargestellt werden.» Reed reichte die Scherbe an Marina weiter. «Die stammt aus dem Höhlenheiligtum im Tal der Toten – ist aber nicht minoisch. Es handelt sich um ein mykenisches Stück. Und ich würde eine Kiste Bordeaux, die so groß ist, dass selbst die Kabiren davon betrunken würden, darauf verwetten, dass sie von den Männern mitgebracht wurde, die den Baityl fortgeschafft haben.»
    «Aber der Kabirenkult hat sich in der gesamten Ägäis verbreitet», wandte Marina ein, die bislang wortlos ihr Frühstück verzehrt hatte. «Weiter

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