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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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einen Briefkastenschlitz zu zwängen. Als Diamantensucher in Rhodesien, in den Dreißigern, war er schon in sehr enge Höhlen gekrochen, aber das hier übertraf alles. Er legte den Kopf auf die Seite und zog den Bauch ein; er schlängelte und robbte sich durch den Spalt, während Reed und Marina ihn von hinten anschoben. Dann war es vollbracht, er war hindurch. Schwer atmend, platt auf den Boden gepresst, lag er da.
    Etwas berührte seinen Knöchel, der noch in den Keller hinausragte, und er zuckte reflexhaft zurück.
    «Ich habe dir ein Seil um den Fuß gebunden.» Marinas Stimme klang bereits erschreckend weit weg. «Wenn du irgendetwas findest, zieh zweimal daran. Solltest du irgendwie feststecken, zieh dreimal, dann holen wir dich wieder raus.»
    Grant verzichtete auf eine Antwort. Er befand sich in einem Tunnel, höher als die Öffnung, durch die er sich gezwängt hatte, aber nicht breiter. Wenn er sich auf Händen und Knien aufrichtete, stieß er mit dem Rücken an die Decke. Steine oder Mörtel waren nicht zu entdecken: Offenbar war der Schacht in den Felsen selbst gegraben worden.
    «Wenigstens besteht keine Einsturzgefahr», versuchte er sich zu trösten.
    Er kroch vorwärts. Der Tunnel war zu niedrig, um die Lampe zu heben; er musste sie vor sich über den Boden schieben und dann hinterherkriechen. Die Luft war abgestanden – gewiss war sie seit dreitausend Jahren von niemandem mehr eingeatmet worden. Beunruhigender aber war der säuerliche Geruch von Gas, den er wahrnehmen konnte. Einen Kanarienvogel könnte ich jetzt gut gebrauchen , überlegte er.
    Er kroch weiter. Nur das Scharren der Lampe auf dem Boden und das dumpfe Rascheln seiner Kleidung, die an den Felswänden entlangstreifte, waren zu vernehmen. Die Erbauer des Tunnels hatten ganze Arbeit geleistet, nie wich er vom Kurs ab, sondern führte schnurgerade ins Innere des Bergs. Grant versuchte, sich die Männer vorzustellen, die ihn gegraben hatten. Wie lange mochten sie dafür gebraucht haben, mit ihren Steinhämmern und Kupfermeißeln ?
    «Und wo genau wolltet ihr hingelangen?», fragte er laut. Hatte sich die Mühe gelohnt?
    Er schüttelte den Kopf. Vor ihm schimmerte etwas im Lampenschein. Er robbte näher, stieß die Lampe abermals ein Stück vor – und konnte sie gerade noch rechtzeitig zurückreißen, bevor sie umkippte. Vor ihm dehnte sich ein glänzendes Becken voll Wasser. Grant streckte einen Arm vor und hielt die Lampe über die Oberfläche. Das Wasser war sauber und klar; Lichtreflexe drangen hinab bis zum Felsboden, etwa einen Meter in der Tiefe. Es sollte kein Problem sein, hindurchzuwaten, überlegte Grant. Doch auf der anderen Seite des Beckens schloss eine schroffe, unüberwindliche Felswand den Tunnel ab.
    Einen Moment lang starrte er sie an, dann hob er sein rechtes Bein und ruckte zweimal an dem Seil, kein leichtes Manöver in dem engen Raum. Kurz fragte er sich, ob die anderen es überhaupt wahrgenommen hatten. Dann hörte er ein Geräusch hinter sich – in weiter Ferne, wie es schien. Doch offenbar versuchte da jemand ächzend und stöhnend, sich in den Tunnel zu zwängen.
    Während er wartete, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Becken zu. Fraglos wurde es aus irgendeiner unterirdischen Quelle gespeist: Das Wasser konnte ja unmöglich seit Jahrhunderten hier stehen. Handelte es sich um dieselbe Quelle, die auch den Brunnen im Kirchhof füllte? Er beugte sich so weit wie möglich über das Wasser. Der Schwefelgeruch war jedenfalls derselbe. Und falls das Wasser irgendwie hier hereindringen konnte …
    Er senkte die Lampe, bis ihr unterer Teil fast das Wasser berührte. Es war schwer zu erkennen, aber es wirkte ganz so, als würde die Wand gegenüber nicht bis zum Boden reichen. Vielmehr schien sich unten der dunkle Schatten einer Öffnung abzuzeichnen.
    Das scharrende Geräusch, das hinter ihm im Tunnel immer lauter geworden war, verstummte. Eine Hand drückte seinen Fuß, und er drehte den Kopf herum. Dunkle Augen blickten ihm aus der schwarzen Finsternis entgegen.
    «Da wären wir. Theseus und Ariadne im Labyrinth.»
    «Hoffen wir mal, dass es hier keinen Minotauros gibt.»
    Grant drehte sich auf die Seite, drückte sich an die Wand, damit Marina an ihm vorbeischauen konnte. Sie riss verblüfft die Augen auf.
    «Was machen wir jetzt?»
    «Die werden sich wohl nicht bis hierher durchgegraben haben, weil sie Durst hatten. Schnür mir die Stiefel auf.» Grant deutete auf den Schatten, der am Fuß der Felswand gähnte,

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