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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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auf; seine Finger suchten darin herum, aber es war leer. Er hob den Blick und sah Reed direkt in die Augen. «Lassen wir mal den ganzen Mist und faulen Zauber beiseite. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo wir diesen Schild finden können, oder soll ich nach London telegrafieren und denen Bescheid geben, dass die Jagd beendet ist?»
    Einen Moment lang erwiderte Reed wortlos Muirs Blick.
    «Wo sich der Schild befindet, weiß ich nicht.»
    Das Etui schnappte zu. Muir wandte sich zum Gehen.
    «Aber ich weiß, wo ich mit der Suche anfangen würde.»

VIERZEHN
    Paleo Faliro, Athen. Zwei Tage später
    Es war ein klarer, sonniger Frühlingsmorgen. Die unteren Regionen der Berge rings um die Stadt leuchteten nach den Regenfällen des Winters in sattem Grün, während auf ihren Gipfeln weiter Schnee lag, so strahlend weiß wie Marmor. Grant und die anderen saßen auf der Hotelterrasse am Hafen – zwischen den Bergen und dem funkelnden Meer, zwischen Winter und Sommer, zwischen der Vergangenheit und … wer wusste schon, was genau? Augenblicklich spielte das für Grant keine Rolle. Die letzte Woche, so kam es ihm vor, hatte er vorwiegend in tiefer Dunkelheit verbracht – auf nächtlichen Fähren, in Meereshöhlen, klaustrophobisch engen Tunneln und Gewölben. In Anbetracht dessen war es vorläufig schon eine Wohltat, einfach nur mit einem kühlen Bier in der Hand in der Sonne zu sitzen.
    Das hier war Griechenland, wie er es noch nicht kannte – ein wohlhabendes, gutbürgerliches Griechenland, weit weg von den armen Weilern und Fischerdörfern, an die er gewöhnt war. Elegante Villen der Jahrhundertwende säumten das Ufer, während auf der Promenade Straßenbahnen im Schatten stämmiger Palmen dahinbimmelten und im Jachthafen unterhalb des Hotels zahlreiche schnittige Jachten vor Anker lagen. Dass im Land immer noch ein Bürgerkrieg wütete, konnte man hier leicht vergessen.
    Gegenüber am Tisch hob Reed die Tasse an die Lippen und trank ein Schlückchen Tee.
    «Wir müssen an den Anfang zurückkehren.» Er wickelte das Tontäfelchen aus und legte es mitten auf den Tisch. Grant fand es erstaunlich, dass es all ihre Abenteuer bislang unversehrt überstanden hatte. «Anscheinend hat doch alles angefangen, als Pemberton das hier gefunden hat. Die erste Frage dürfte also lauten: Woher stammt es?»
    Marina stellte ihr Glas ab und nahm das Täfelchen vom Tisch, fuhr mit dem Finger über die zackigen Zeichen, als wären sie Blindenschrift. «Er könnte es auf Kreta gefunden haben, aber ich glaube eher, dass er es von hier hat. Nach der Rückkehr von seiner letzten Athenreise machte er nämlich einen seltsam aufgeregten Eindruck.»
    «Mag sein.» Reeds Stimme klang einen Hauch ungeduldig. «Aber woher stammt es ursprünglich? Es muss doch irgendwo ausgegraben worden sein. Diese Tafeln mit Linear B wurden überall auf Kreta und an mykenischen Ausgrabungsstätten auf dem Festland gefunden, doch in Athen sind sie meines Wissens nie aufgetaucht. Die Möglichkeit, dass Pemberton es in einem Museum gestohlen hat, dürfen wir wohl ausschließen. Entweder hat jemand ihm das Täfelchen geschenkt, oder er ist in einem der Antiquitätenläden hier zufällig darauf gestoßen. Nun –»
    Er hielt mit verärgertem Stirnrunzeln inne. Seine Worte gingen in lautem Propellergedröhn unter, da über ihnen gerade ein kleines Wasserflugzeug zur Landung ansetzte. Es stürzte aufs Meer zu und glitt, nach kurzem Aufprall, in einer Fontäne aufspritzender Gischt über die Wellen. Vermutlich irgendein reicher Sohn und Schiffsbesitzer, der Eindruck bei einem Mädchen schinden wollte, überlegte Grant.
    «Ist das wirklich von Belang?» Muir stieß Rauch aus den Nasenlöchern aus. «Wir haben die Tafel, nur darauf kommt es an. Wenn Sie die verfluchte Schrift lesen könnten, wäre sie vielleicht etwas wert.»
    «Da könnte ich jetzt schon etwas weiter sein, wenn Sie mich ungestört in Oxford zurückgelassen hätten. Statt mich hierher zu verschleppen, wo auf mich geschossen wird, ich fast Opfer einer Entführung geworden wäre und kreuz und quer durch die Ägäis gehetzt werde.» Reed starrte über den Rand seiner Teetasse. Unten in der Bucht näherte sich das Wasserflugzeug jetzt dem Hafenbecken. «Was ich Ihnen aber eigentlich begreiflich machen wollte, ist Folgendes: Selbst wenn ich die Linear B entziffert hätte – und selbst wenn sie uns zum Schild führte –, würde uns das nur begrenzt nützen.» Er hielt das Täfelchen in die Höhe und fuhr mit dem

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