Der vergessene Templer
stolpern.
Der blanke Morgenhimmel über ihm kam ihm wie der glatte Hohn vor, ebenso der Ball der Sonne, von der er sich verhöhnt fühlte.
Die Leichen der Angreifer sah er nicht. Man hatte sie mitgenommen. Pferdekadaver lagen ebenfalls nicht auf dem Hof, denn die Meute hatte den Weg vom Tal hoch zu Fuß genommen.
Sie würden wissen, dass einer fehlte, und so rechnete er damit, dass sie wieder zurückkehrten und nach ihm suchten. Bevor dies passierte, wollte er verschwunden sein.
Der Bischof selbst hatte die Meute nicht angeführt. Das hatte er seinem Vertrauten überlassen, einem Mann namens Wolfhart von Lahnstein, einem jungen edlen Adligen, der noch dabei war, sich die Meriten im Kampf zu verdienen. Leider hatte Victor ihn nicht erwischt, aber er wusste, dass sie sich noch mal treffen würden. Und dann würde es zu einer endgültigen Entscheidung kommen.
Es hatte ihm gereicht, einmal auf seine toten Freunde zu schauen. So blickte er nicht mehr hin, als er über den Burghof ging und auf die Brücke zu, die über den mit Wasser gefüllten Graben führte. Pflanzenreste, Laub, Algen und vieles andere hatte dem Wasser seine Farbe gegeben, sodass der Besucher auf eine dunkelgrüne Fläche schaute, über der zahlreiche Mückenschwärme tanzten.
Victor von Narbonne hatte der morgendlichen Ruhe nicht getraut. Noch bevor er die Brücke erreichte, wurde ihm klar, dass er sich nicht getäuscht hatte.
Ein bestimmtes Geräusch hatte die Stille unterbrochen, und dieses Geräusch wehte auf ihn zu. Es waren die Echos von Schritten, auch das Klirren der Waffen, und in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er zu spät aus dem Schlaf der Erschöpfung erwacht war, denn jetzt kehrten sie zurück, um auch den Rest zu erledigen.
Der Templer ging noch einige Schritte, bis er die Brücke erreicht hatte. Dann blieb er stehen, denn er sah ein, dass er nicht weiterkam.
Fünf Männer waren es, die vom Tal her hochkamen und schon die andere Seite der Brücke erreicht hatten. An der Spitze sah er Wolfhart von Lahnstein, den Anführer.
Der Mann trug keine Rüstung, auch keinen Helm, nur einen Brustpanzer. Er war ein recht großer Mensch mit hellblonden Haaren und einem rötlichen, von der Sonne leicht verbrannten Gesicht. Bewaffnet war er mit einem Kurzschwert. Auf etwas anderes hatte er verzichtet. Das hatte er seinen Gefolgsleuten überlassen, die keinen Schritt weitergegangen waren und eine Kette aus Menschen bildeten. Es war für Victor nicht mehr möglich, normal die andere Seite zu erreichen.
Die Falle war zugeschnappt!
Gesprochen wurde nicht. Das Schweigen stand wie ein schwerer Druck zwischen ihnen. Victor spürte die Kraft der Sonne, die in seinem Nacken brannte.
Er wartete darauf, was passieren würde, und sah, dass von Lahnstein seinen Schergen mit einer Handbewegung klar machte, dass sie Zurückbleiben sollten.
Er selbst ging vor, aber er zog seine Waffe nicht, und so war Victor von Narbonne gespannt, was in den nächsten Minuten passieren würde...
***
Wolfhart von Lahnstein blieb in Sprechweite stehen. Wenn sie jetzt redeten, brauchte keiner von ihnen zu schreien, und genau das hatte er gewollt. Er nickte seinem Widersacher zu, der in den Augen des Blonden sogar so etwas wie das Gefühl der Hochachtung las.
»Ihr lebt noch, Victor von Narbonne...«
»Ja, ich habe es geschafft.«
Um die Lippen von Lahnsteins kräuselte ein hochmütiges Lächeln, während er an dem Templer vorbeischaute und die Leichen auf dem Burghof betrachtete.
»Ob Ihr es geschafft habt, liegt ganz allein in meiner Hand. Aber ich muss Euch zugestehen, dass Ihr und Eure Leute sehr tapfer seid. Wir haben auch Verluste einstecken müssen, aber ihr habt den Kampf nicht gewinnen können.«
»Sie sind in Ehre gestorben, so wie es eines Templers würdig ist und wie viele vor ihnen, die loszogen, um das Heilige Land zu verteidigen.«
»Ja, die Verdienste sind da. Aber Ihr habt einen Fehler begangen. Ihr hättet nicht so raffgierig sein sollen. Ihr habt die Schätze mitgenommen, und ihr habt geraubt und geplündert und...«
»Die Kirche hatte nichts dagegen!«, widersprach Victor. »Rom hat uns die Erlaubnis erteilt. Was konnten wir dafür, dass die Kirche eine Misswirtschaft getrieben hat und Angst bekam, zu verarmen? Wir haben es nicht getan, die Templer waren schlauer. Sie haben ihr Geld ordentlich verwaltet und vieles geschaffen. Burgen, Klöster, Kirchen und Komtureien. Wir haben Menschen das Lesen und Schreiben gelehrt, denn von ihren Reisen
Weitere Kostenlose Bücher