Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Gidroghand war es nicht gewesen.
Der Gidrog schnüffelte, bückte sich dann und nahm, ohne sieaus den Augen zu lassen, den Mantel auf. Dabei bewegte er sich so, dass er ihnen nicht für einen Moment den Rücken zuwandte.
»Du!«, herrschte er Banavred an, als er die Vahits zwischen sich und der Leiter hatte. »Komm!« Sein Blick streifte Finn und blieb an Mellow haften. »Du beide, komm! Jetzt! Ashniag! «
Er hob sein Axtschwert und machte einen drohenden Schritt auf sie zu. Weiterer Hinweise bedurfte es nicht. Sie hatten ihn verstanden. Und sie stiegen, einer nach dem anderen, die behelfsmäßige Leiter empor, so geschwind sie es vermochten.
Oben kletterten sie aus dem viereckigen Loch der Falltür und standen auf der steinernen Decke ihres Verlieses. Sie fanden sich in einem Raum wieder, der sich, wie auch das Verlies, über die gesamte Breite des Turmes erstreckte. Ein zweiter Gidrog nahm sie am Ende der Leiter in Empfang. Zuletzt turnte der Gidrog hinauf, schneller, als es die Vahits hinunter geschafft hätten. Wieder musste Finn an die Wendigkeit der Eidechsen denken.
An der hinteren Wand führte eine Steintreppe in das nächsthöhere Stockwerk. Ihr gegenüber befand sich die hohe, doppelflügelige Tür aus Caeraban, die nun offen stand und durch die Tageslicht hereinfiel. Die beiden Gidrogs fassten die Vahits bei den Schultern und drängten sie hinaus ins Freie. Ihr Griff war von schmerzhafter, unbeugsamer Härte. Finn wurde klar, warum sie auf Fesseln verzichteten. Selbst mit der größten Anstrengung hätte er sich nicht aus diesen Schraubstockhänden befreien können.
Sie standen für einen Moment am oberen Ende der breiten Treppe, die vom Turmeingang in den Hof hinunterführte. Das jähe, grelle Licht schmerzte nach der Trübnis ihres Verlieses in den Augen. Drei oder vier Worte in der Grunzlautsprache fielen. Dann stießen harte Fäuste sie vorwärts. Banavred und Finn mussten zuerst hinunter. Während sie die Stufen hinabstolperten, nahm Finn alles in seltener Klarheit in sich auf.
Der Nachmittag neigte sich dem Abend entgegen. Die Wolken, zerrissen vom böigen Wind, flohen nach Westen. Die Sonne stand jetzt hinter dem Acaeras Alamdil und tauchte den zerfaserten Himmel in unwirkliches Licht; die hohe Wand der alten Wehranlage warf einen langen, rötlichen Schatten bis über die vordere Mauer und in die Vorburg hinein. Der helle Benutcaerstein warf die Sonnenstrahlen golden zurück, als flösse siedend heiße Bronze an ihm herab, während schmutzig gelbe Ascheflocken davor in der unsteten Luft tanzten.
Wo am Morgen das Feuer gebrannt hatte, glühten vereinzelte Brocken immer noch nach. Die Brandstelle war annähernd kreisrund und von größerem Durchmesser als Finns Wagen. Der Wind blies immer wieder in die schwelenden Reste hinein und entfachte so neuerliche Funken wie ein Blasebalg, der in einer Schmiede fauchte. Der fürchterliche Gestank hing immer noch im Hof des Acaeras wie der Hauch einer üblen Krankheit oder von etwas weitaus Schlimmerem – jetzt erkannte Finn darin den Geruch von verbranntem Fleisch und Innereien und verkohlten Federn.
Von ihrer erhöhten Warte aus glaubte er zu ahnen, was da in dem Scheiterhaufen verbrannt worden war: Er sah bleiche, dünne und spitze, von der Hitze verdrehte Knochen aus dem Aschenberg ragen. Ein Gerippe … es war das zusammengekrümmte Skelett eines verstörend großen Vogels, oder Finn hatte nie einen gesehen. Ein ungeheurer Schädel, an dem ein gewaltiger, gebogener Schnabel hing, lag näher am Rand und blickte ihn aus leeren Augenhöhlen an. Das Tier musste von erschreckenden Ausmaßen gewesen sein, um vieles ausladender als ein Aari und weitaus höher aufragend als selbst einer der Großen Leute. Wie konnte es ein solches Wesen geben?
Aber waren nicht auch die Gidrogs Geschöpfe einer Art, die es eigentlich gar nicht geben durfte? Die Hand, die ihn die Treppe nach unten schubste, zeigte ihm unmissverständlich: Es gab sie dennoch – allem, was er kannte, zum Trotz. Und allem bei Meister Ludowig erworbenen Wissen zum Hohn.
Auch Mellow erhielt einen Stoß, und während er nach unten taumelte, verlor er auf der Treppe seinen Hut. Als er sich umdrehen und nach ihm bücken wollte, lief er mitten in den derben Tritt desihm nachfolgenden Gidrogs und fiel die letzten Stufen hinab. Der Wind fuhr der Kopfbedeckung unter die breite Krempe, riss sie hoch und trug sie mit sich fort. Für einen Moment flammte der Landhüterhut rot glühend im
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